Der „Ewig-Wahlkampf“ rund um den neuen Bundespräsidenten zieht sich, und so wartet die Wiener Hofburg nach wie vor auf ihren neuen Bewohner. Dort trafen sich nun im Rahmen des 41. österreichischen Zahnärztekongresse mehr als 1.000 Kollegen, um in staatstragender Atmosphäre verschiedenste Aspekte der Zahnmedizin zu diskutieren. Vielleicht lässt sich hier ja sogar etwas Neues zur „technischen Situation des Klebers“ herausfinden…
Prof. Dr. med. dent., Dr. h.c., M.S. Anton Sculean (Bern) klärte zu Beginn der Tagung über Möglichkeiten und Grenzen der Korrektur von Weichgewebsdefekten am Zahn und Implantat auf. Und nicht nur das, interessierte Teilnehmer konnten im Rahmen eines Workshops an der Wiener Zahnklinik sogleich ihre Fingerfertigkeiten am Schweinekiefer unter Beweis stellen.
Die häufigsten Ursachen für Rezessionen stellen mechanische Traumen, fortgeschrittene Parodontitis und kieferorthopädische Behandlungen dar. Patienten mit Weichgewebsdefekten haben oftmals Überempfindlichkeiten in der Zahnhalsregion zu beklagen, aber auch die Verbesserung der Hygienemöglichkeiten zur Prävention von Gingivitis und Wurzelkaries sind eine Indikation zur Rezessionsdeckung. Häufig steht für die Patienten aber auch einfach die Optimierung der Ästhetik an erster Stelle.
Die Ziele sieht Prof. Sculean in einer 100% Deckung des Defektes, sprich bis zur Schmelz-Zement-Grenze, in einer optimalen Farbe nach Ausheilung und in einer physiologischen Taschentiefe von maximal 3mm.
Nach der Demonstration der Technik des modifizierten koronal verschobenen Tunnels (MCAT) durch den Vortragenden ging es den Schweinen an die Zahnhälse. Und es zeigte sich – viel Geduld, sorgsamer Umgang mit der Gingiva und besonders eine korrekte Nahttechnik sind notwendig, um eine erfolgreiche Rezessionsdeckung zu erreichen. Denn je höher die postchirurgische Position der Gingiva, desto höher ist die Chance für eine komplette Deckung. Je höher hingegen die Spannung des Weichgewebes, desto geringer fallen die Chancen für eine komplette Deckung aus.
Übrigens: Auch an Implantaten kann eine Rezessionsdeckung erfolgreich sein, jedoch nur bei einer Rezession von 2-3mm und ohne vorhandene Bakterienakkumulation.
MR DDr. Gerhard Kreyer (Langenlois) berichtete in der psychosomatischen Session über ganzkörperliche Zusammenhänge. „Wenn ich diesen Blödsinn von Psychosomatik schon höre, dreht sich mir der Magen um!“ – diese Einstellung gehört der Vergangenheit an. Dass äußere Einflüsse Auswirkungen auf den Körper haben ist längst bewiesen. Bruxismus als Form des Stressabbaus ist nur eine Reaktion des Körpers auf psychogene Probleme, ohne psychotherapeutischen Zugang ist bei vielen Patienten keine Besserung zu erreichen.
„Wenn ich denke, dass ich nicht mehr an dich denke, denk ich immer noch an dich. So will ich versuchen, nicht zu denken, dass ich nicht mehr an dich denke.“ Spuken solche Überlegungen vielleicht dem einen oder anderen Patienten im Wartezimmer in Erwartung des Aufeinandertreffens mit dem Zahnarzt durch den Kopf? Sehr wahrscheinlich, gerade bei Angstpatienten spielt daher eine Defokussierung eine wichtige Rolle. Schlechte Erfahrungen früherer, zahnärztlicher Behandlungen offen ansprechen und dem Patienten über gezielte Gesprächsführung und einfühlsame Aufklärung über die Behandlungsschritte die Angst nehmen!
„Es gibt drei Arten von Menschen. Die, die lieber baden als duschen. Die, die lieber duschen als baden. Und die, die in der U-Bahn neben einem sitzen.“ Auch in der intimen Behandlungssituation spielen Geruchsstoffe eine wichtige Rolle.

Den typischen „Zahnarztgeruch“ in der Praxis durch Einsatz dezenter Duftstoffe zu eliminieren kann oftmals schon Wunder wirken.

Oder Sie schnallen Ihren Patienten eine Virtual Reality-Brille auf den Kopf und lassen die Zahnbehandlung auf dem Gipfel des Himalaya stattfinden! Auch dank rasanter Übertragungsgeschwindigkeiten ist das demnächst möglich. 4G ist schon bald Geschichte, die Einführung von 5G wird das Internetverhalten drastisch verändern. Das „Internet of everything“ ist keine Zukunftsmusik mehr, die vollkommene Vernetzung wird dann tatsächlich im Alltag ankommen.
„Was kommt in Hinsicht auf Internet-Marketing also auf uns zu?“ Dieser Frage stellte sich Günter Lichtner (Wien). Fakt ist: Bereits 84% der Bevölkerung sind regelmäßige Internet-User, der Anteil der älteren Nutzer wird immer größer. Selbst in der Altersklasse 70+ sind es mittlerweile knapp 50%.
Fakt ist aber auch: 70% der Österreichischen Zahnärzte haben keine oder eine veraltete, unattraktive Homepage. Und noch erstaunlicher ist, dass über die Hälfte der niedergelassenen Kollegen in Österreich keine auffindbare E-Mail-Adresse besitzen.
Die Bewertung der zahnärztlichen Leistung findet auf Internetplattformen statt, eine der größten ist DocFinder. Die meisten Praxen haben, sofern überhaupt auf der Plattform präsent, dort weniger als 10 Bewertungen. Weniger als 1% der Zahnärzte verfügen über mehr als 100 Bewertungen. Hier fordert der Referent in Hinblick auf die steigenden Nutzerzahlen solcher Informationsplattformen mehr Engagement des Praxisteams. Die Patienten aktiv um eine Bewertung bitten und so das Potenzial dieses Marketingtools besser ausschöpfen!
Nicht nur die Hygiene am Arbeitsplatz ist von großer Bedeutung, auch auf die „Hygiene“ der Praxis-Website sollte penibel geachtet werden. Das heißt an erster Stelle: qualitativ hochwertige Bilder, nicht mit dem Smartphone, sondern von einem Profi geschossen! Wie im echten Leben zählt auch beim Web-Auftritt der erste Eindruck.

Und wer jetzt fragt: „Warum überhaupt eine eigene Homepage?“ sollte sich vielmehr fragen: „Warum NICHT!?!?“

Prof. Dr. Jens Christoph Türp (Basel) sprach über ein Thema, welches auch in den Medien immer wieder kontrovers diskutiert wird: „Erfolg oder Misserfolg? Überinterpretation, Überdiagnostik, Übertherapie in der Zahnmedizin“.
Einen Zugang bot der Referent über die Kunst. Bittet man verschiedene Künstler, eine vor ihnen stehende Skulptur auf ein Blatt Papier zu zeichnen, werden die Ergebnisse höchst unterschiedlich ausfallen. So geschehen vor kurzem auf der weltweit bedeutendsten Kunstmesse, der „Art Basel“. Von nahezu realitätsgetreuer Wiedergabe des Objekts bis hin zu äußerst abstrakten Interpretationen war die Varianz enorm. In diesem Maße kann man die „künstlerische Freiheit“ sicherlich nicht auf die Zahnmedizin übertragen, dennoch werden unterschiedliche Zahnärzte gleiche Indikationen in vielen Fällen ebenfalls recht unterschiedlich behandeln. Viele Behandler verlassen sich dabei weiterhin fast ausschließlich auf die eigenen, unkontrollierten Erfahrungen, d.h. ohne permanenten Abgleich mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Dies entspricht nicht den Prinzipien einer nachweisgestützten, also evidenzbasierten Zahnmedizin.
Eine „diagnostische Unterversorgung“ liegt oftmals dann vor, wenn die individuelle Krankengeschichte zu wenig Beachtung findet und beispielsweise schmerzrelevante Parameter nicht in ausreichendem Maß erhoben werden. So fordert der Referent, bei der Diagnostik der schmerzhaften kraniomandibulären Dysfunktionen immer eine Ganzkörperzeichnung zu verwenden. Und um neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen, muss man über bestehende Grenzen schauen und manchmal eben auch zweimal hinsehen. Hase oder Ente? Was sehen Sie?
Nicht nur auf spannende zahnmedizinische Fragestellungen konnten an diesem Wochenende Antworten gefunden werden.
„Vielleicht sollten wir die Wahlkarten einfach panieren. Das können wir,“ war der vielversprechende Vorschlag eines Wieners zur Lösung des aktuellen Politdilemmas.
Neben neuem Fachwissen können die zahlreichen Kollegen aus dem Ausland jedoch noch eines mit nach Hause nehmen: Bundespräsidentenwahl 2016-2019 – Wir waren dabei!

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