Von Dr. Gregor Ley
Was gibt es Schöneres als Kindergeschrei in der Praxis? Vieles. Doch mit einigen einfachen Regeln der Verhaltensführung und der richtigen Strategie kann die Behandlung der Kleinen erfolgreich durchgeführt werden – und Spaß machen.
Ein Konzept der ritualisierten Verhaltensführung stellte Barbara Beckers-Lingener auf dem Kinderzahnheilkundekongress am 22./23. April in Salzburg vor.
Rituale und berechenbare Abläufe helfen, die Behandlung von Kindern zu erleichtern. Das beginnt schon beim Eintritt der jungen Patienten in die Praxis. Das Kind begibt sich in eine andere Welt, aus der es möglichst klüger und gesünder hinausgehen sollte.
Die Begegnung mit den Assistentinnen und dem Zahnarzt sollte kein alltägliches Erlebnis darstellen, sondern das Kind nachhaltig beeindrucken und faszinieren. Beim Erstkontakt hilft es, die Begrüßungsreihenfolge zu wechseln. „Hallo, bist du die…?“ „Ist das deine Mama?“ Eine direkte Ansprache auf Augenhöhe schafft Vertrauen und Nähe.
Beim Eintritt in das Behandlungszimmer sollte Orientierungszeit gegeben werde, alle Anwesenden werden dem Kind vorgestellt. Um ein ungewolltes Intervenieren der Eltern zu verhindern, empfiehlt sich ein Mamaparkplatz, am besten in Form eines Fatboys – aus dem lässt es sich nur sehr schlecht spontan aufspringen.
„Keep it short and simple“ heisst die Devise beim Erstkontakt von Patient und Behandler. Die Kleinen in die Rolle des Piloten schlüpfen lassen, den Stuhl bedienen und das Licht anknipsen lassen.
Einfache Tricks, die für mehr Spaß und vor allen Dingen für weniger Berührungsängste sorgen.
„Psychoheinis haben genau wie Zahnärzte eine Meise – nur eine andere“. Mit diesen aufschlussreichen Worten stellte sich Dipl. Psych./Dipl. Päd. Herbert Prange dem Auditorium vor. Die moderne Gehirnforschung kann uns mittlerweile einiges über Kinder und deren Verhalten sagen. „Der Mensch ist bei Geburt das blödeste Wesen das es gibt“ – wir erhalten eine Grundausstattung an Talenten und Temperamenten, das war es aber auch schon. Der Rest muss mehr oder weniger mühevoll erlernt werden.
Kinder haben drei wesentliche Grundbedürfnisse – Schutz, Harmonie und Familie. Sind diese Bedürfnisse befriedigt, ist die Voraussetzung für das körperliche und seelische Wohlbefinden gegeben.
Keine neue Erkenntnis, doch immer wieder spannend darüber nachzudenken: Bis zum vierten Lebensjahr ist das Ich-Bewusstsein noch nicht entwickelt, ein Grund für die grenzenlose Entdeckerfreude unserer Nachkömmlinge.
Vielfältigen Einfluss auf Verhalten, Stimmung, Aufmerksamkeit, Lernen, Schlaf oder motorische Aktivität hat der Neurotransmitter Dopamin nicht nur bei Erwachsenen – auch bei Kindern sorgt die grundsätzlich hohe Dopaminausschüttung für Aktivität und Wachsamkeit.
Übrigens sorgt auch Vorfreude für einen erhöhten Dopaminspiegel – das erklärt die häufige Antwort auf die Frage, welches denn der schönste Urlaubstag gewesen war?! Der Tag davor!
Für die Kinderbehandlung verweist der Referent auf die Bedeutung der Körpersprache als Schlüssel zum Erfolg, Zustimmung kann nämlich leicht gewonnen werden: Nicken Sie einfach leicht während des Sprechens, wetten dass ihr Gegenüber es Ihnen gleichtun wird? Funktioniert übrigens nicht nur bei Kindern, alle Zuhörer im Saal nickten den Vortragenden simultan an.
Und wenn nichts hilft, um mit dem Patienten eine Kommunikation aufzubauen, solle man ihn einfach mal fragen: „Wie schaffen Sie es nur so blöd zu sein?“ Da stecke ja auch eine gewisse Bewunderung drin, denn Blödsein sei schließlich auch eine Leistung…. Anwendung dieses Praktiker-Tipps auf eigenes Risiko!
Poröse Schmelzfrakturen an frisch eruptierten Molaren – Anzeichen für eine Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation. Erstmals beschrieben wurde das Phänomen Ende der 70er Jahre, eindeutig geklärt ist die Ätiologie jedoch bis heute nicht. Frau Univ.-Prof. Dr. med. dent. habil. Katrin Bekes stellte die Variationsbreite möglicher Faktoren vor. Gesundheitlichen Problemen während der Schwangerschaft, Sauerstoffmangel, Störungen im Mineralhaushalt und Infektionskrankheiten in den ersten drei Lebensjahren werden als Einflussfaktoren für das multifaktorielles Geschehen angesehen.
Der klinische Befund weist nur die ersten bleibenden Molaren und Inzisiven als betroffene Zähne auf, wobei die Molaren meist häufiger und ausgeprägter betroffen sind als die Frontzähne. Die Oberkiefer-Inzisiven sind eher befallen als die Unterkiefer-Inzisiven. Sollten diese befallen sein, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch eine Hypomineralisation der OK-Inzisiven und der ersten bleibenden Molaren vorhanden. Eine adäquate Mundhygiene ist aufgrund von starken Hypersensibilitäten oftmals nicht gegeben.
Für eine erfolgreiche Therapie empfiehlt die Vortragende einen Stufenplan, bei dem eine frühzeitige Diagnose oberste Priorität hat. Präventions- und Prophylaxemaßnahmen sind der nächste Schritt bevor eine Restauration der Zähne durchgeführt werden kann. Die Form der Restauration richtet sich nach Größe des Defektes, außerdem ist in vielen Fällen eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem Kieferorthopäden zu empfehlen.
Die resultierenden Kosten und die zum Teil grenzwertige Behandlungsbelastung der Patienten verdeutlichen, dass weitere Forschung zur MIH dringend erforderlich ist.
Der straffe Kongresszeitplan ließ einen Coffee to go zu, danach konnten sich Interessierte in einem der Nachmittags-Workshops Kinderzahnmedizin to go abholen. Frau Dr. Nicola Meißner, Gründerin einer der ersten Kinderzahnarztpraxen Österreichs, holte zum kompakten Rundumschlag in Sachen Kinderzahnmedizin aus.
Ein auf Kinder zugeschnittenes Praxiskonzept bietet den passenden Rahmen für die Behandlung der Kleinen. Die Auswahl von ansprechenden und beruhigenden Farben (blutrote Wände vielleicht nochmals überdenken!), eine Zahnputzschule sowie ein entsprechend geschultes Personal sind nur einige Aspekte, die es hier zu beachten gilt.
Wichtig für den Ersttermin: nur Relevantes erzählen, Behandlungsalternativen anbieten, ein Gespräch führen und keinen Monolog! Außerdem sollte immer etwas Positives gefunden werden und den Eltern sollten auch bei akutem Handlungsbedarf keine Schuldgefühle vermittelt werden.
Ein wertschätzendes Beratungsgespräch wirkt motivierend für alle Beteiligten.
Für ein langsames Heranführen der Kinder empfiehlt sich ein Stufenkonzept. Nach dem Erstbefund erfolgt eine sanfte Mundhygiene, anschließend werden einfache Behandlungsmaßnahmen vorgenommen. Erst wenn nun das Vertrauen herangewachsen ist, werden Behandlungen unter Lokalanästhesie durchgeführt. Um diese etwas erträglicher zu gestalten, hilft eine gewisse Reizüberflutung auf mehreren Kanälen. Den Knirpsen während des Einspritzens Fragen stellen, sie mit dem Fuß einen Kreis in die Luft zeichnen lassen und leicht in die Hand zwicken – die Spritze wird somit wortwörtlich zum Kinderspiel.
Außerdem wirkt ein friedlicher Griff auf die Schläfen äußerst beruhigend – soll auch im Streitgespräch mit dem Partner funktionieren….
Die Macht der Worte sollte nicht unterschätzt werden. Negativ besetzte Begriffe der zahnärztlichen Alltags werde durch positive ersetzten. So werdet ihr mit offenen Augen in der Praxis sicherlich Dinge wie den Zahnföhn, den Staubsager, die Kitzelkugel, den Schlürfi oder die Kuschelwatte entdecken.
Doch auch die Referentin betonte nochmals: nur 7 % werden verbal wahrgenommen, der Rest nonverbal. Körpersprache und Körperkontakt sind der wesentliche Aspekt in der Patientenkommunikation.
Zahntraumata und deren Behandlung waren ein Schwerpunkt am zweiten Kongresstag.
Wichtig bei nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum ist es, die Vitalität der Pulpa nach Möglichkeit zu erhalten.
Subluxationen erfordern eine frühzeitige Schienung, bei Extrusionen ist die Reposition mit anschließender Schienung am Unfalltag entscheidend für einen Behandlungserfolg.
Für eine komplette Auflistung der verschiedenen Traumen und Behandlungsstrategien empfiehlt sich ein Blick auf www.dentaltraumaguide.org.
Insgesamt zwei spannende und lehrreiche Tage in Salzburg, bei denen auch das toll organisierte Rahmenprogramm perfekt zu der mondänen Stadt an der Salzach passte. Nicht nur für Betreiber von Ordinationen mit Spezialisierung auf Kinder ist das Symposium der österreichischen Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde somit eine echte Empfehlung.
Interview mit Dr. Petra Drabo, Präsidentin der ÖGK.
Dr. Ley: Das diesjährige Symposium in Salzburg ist gleichzeitig das zehnjährige Jubiläum der österreichischen Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde. Was waren die bedeutendsten Entwicklungen der Vergangenheit und welche Ziele haben Sie sich für die nächsten zehn Jahre gesetzt?
Dr. Drabo: Es ist uns gelungen, das Thema “Kinderzahnheilkunde” in der österreichischen zahnärztlichen Fortbildungsszene als wichtiges Kapitel zu etablieren. Unsere Symposien, Curricula und Kurse erfreuen sich auch in den deutschsprachigen Nachbarländern großer Beliebtheit. Die Österreichische Zahnärztekammer hat diese mehrfach mit dem ZÄK-Diplom ausgezeichnet. Für die Zukunft haben wir neben den bereits etablierten Lachgasguidelines (in Kooperation mit der Schweiz und Deutschland) auch Narkoseguidelines, Fluoridierungsguidelines, Lückenhalterguidelines und Versiegelungsguidelines geplant. Weiters ist ein großes Ziel, vermehrt mit dem Gesundheitsministerium im Sinne der Kindergesundheit (Karies ist die häufigste chronische Erkrankung von Kindern!) zusammenzuarbeiten und die Aufnahme der zahnärztlichen Untersuchung von Schwangeren und Kindern im Mutterkindpaß zu erreichen, was bei einer Kariesrate von durchschnittlich 50% der Kindergartenkinder, in Schwerpunktbezirken bis zu 80 %, durchaus eine sinnvolle und nachhaltige Investition ist. Auch die Honorierung von Kinderzahnbehandlung und Kinderprophylaxe durch die Versicherungsträger werden im Schulterschluß mit der Univ. Kl. f. ZMK diskutiert werden.
Dr. Ley: Frau Prof. Dr. Katrin Bekes besetzt seit April 2015 den Lehrstuhl für Kinderzahnheilkunde in Wien. Sind weitere Lehrstühle mit diesem Schwerpunkt in Österreich geplant?
Dr. Drabo: Hoffentlich – wir würden es begrüßen!
Dr. Ley: Fluoridierung ist einer der Schlüssel zum Erfolg für die Mundgesundheit von Kindern. Welche Empfehlungen gibt die Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde hierzu?
Dr. Drabo: Wir schließen uns den Empfehlungen des Obersten Sanitätsrates an- fluoridiertes Speisesalz, fluoridierte Zahnpasta, unter Berücksichtigng des Fluoridgehaltes des Leitungswassers einer Region. Ganz klar ist bei diesen Empfehlungen jedoch auch das individuelle Kariesrisiko eines Kindes zu berücksichtigen, welches Abweichungen von diesen Empfehlungen notwendig machen kann. Unsere Gesellschaft arbeitet z. Zt. Guidelines zu diesem Thema aus.
Dr. Ley: Mit welchen Maßnahmen lässt sich in der zahnärztlichen Behandlung am leichtesten das Vertrauen von Kindern gewinnen? Wie lässt sich erfolgreich die Angstbarriere abbauen?
Dr. Drabo: Beziehungsaufbau ist die Grundlage jeder Arbeit mit Kindern. Das beginnt mit dem guten Kontakt zu den Eltern, geht über stufenweise Desensibilisierung zu hypnotischer Verhaltensführung der Kinder. Auch angstlösende Medikation in Form von Sedierung z.B. mit Lachgas, bei der die Kinder bei Bewusstsein bleiben und eine positive Erinnerung an die Behandlung behalten, ist in indizierten Fällen sehr sinnvoll.