dental JOURNAL: Herr Zeiselberger, Sie haben einen ziemlich undankbaren Job: Sie verhandeln für rund 12.000 ZAss und PAss in Österreich, aber nur ein Bruchteil davon sind Gewerkschaftsmitglieder. Warum machen Sie das?
Zeiselberger: lacht Undankbar würde ich nicht sagen – es ist tatsächlich ein sehr verantwortungsvoller, wahnsinnig aufreibender, aber auch schöner und begeisternder Job. Ich bin zuständig für den Wirtschaftsbereich 17 bei uns – das ist Gesundheit und Soziales – wo auch der Kollektivvertrag für die ZAss angesiedelt ist. Insgesamt verhandeln wir in diesem Bereich für etwa 200.000 Menschen.
Zur Mitgliederzahl: Wir bewegen uns tatsächlich nur im Promille-Bereich der Beschäftigten, die bei uns Mitglied sind. Das ist sehr, sehr untypisch für den Gesundheits- und Sozialbereich. Zum Vergleich: In anderen Bereichen unseres Wirtschaftsbereichs haben wir weitaus mehr als 30 Prozent Gewerkschaftsmitglieder.
Wenn so wenige Mitglieder da sind – würde da nicht jeder Betrieb sagen: „Lasst es einfach“?
Genau das ist der Punkt! Wenn wir es betriebswirtschaftlich sehen würden als Gewerkschaft, dann würde jeder Betrieb sagen: Ihr verhandelt den Kollektivvertrag nicht, ihr habt so wenige Mitglieder, der Output ist so schwach. Aber wir sind eine politische Organisation. Es ist unsere Verantwortung, dass wir den Kollektivvertrag weiterentwickeln, dass wir die Kolleginnen, die so wenig Einkommen haben, absichern – weil es sonst niemand tun würde. Und die würden dann noch weniger verdienen, das wissen wir.
Es tut mir so leid, das zu sagen, aber wir haben einen Kollektivvertrag, wo man, wenn man alleine lebt, kaum über die Runden kommt.
Sie kommen aus der gewerkschaftlichen Arbeit. Wie wird man Kollektivvertragsverhandler?
Man kommt dazu, wenn man sich gewerkschaftlich engagiert, entsprechende Ausbildungen macht und selbst betriebsrätlich aktiv war. Wir organisieren ja nicht nur Kollektivverträge, sondern auch Arbeitskämpfe im Hintergrund, die Durchsetzung gemeinsam mit unseren Mitgliedern und Betriebsräten. Das ist im Prinzip mein Job – wir müssen schauen, dass diese Kollektivverträge jährlich neu verhandelt werden.
Ihre Erhebung zeigt: 75 bis 80 Prozent der ZAss und PAss werden überzahlt. Macht dann ein Kollektivvertrag überhaupt noch Sinn?
Diese Frage stellen wir uns regelmäßig. Aber die Gehaltserhebung zeigt auch: 20 bis 25 Prozent werden trotzdem nur nach Kollektivvertrag bezahlt. Das klingt nach wenig, aber wir reden von etwa 2.500 Personen bei 12.000 Beschäftigten. Und wenn man weiß, wie niedrig diese Gehälter sind, dann ist das eigentlich ein Skandal. Genau deswegen ist es wichtig, dass wir diese Mindestgehälter weiterentwickeln.
Außerdem regelt der Kollektivvertrag viel mehr als nur das monatliche Entgelt. Wir haben Sonderzahlungen drin – das 13. und 14. Gehalt. Das ist in Österreich nicht gesetzlich geregelt! Ohne Kollektivvertrag bekommen Sie das nicht. Wir haben Gefahrenzulagen drinnen, Regelungen zur Weiterbildung, Anspruch auf Dienstverhinderung, Anrechnung der Vordienstzeiten, Urlaubsregelungen. Und die Vier-Tage-Regelung, die wir verankern konnten. All das wären ohne Kollektivvertrag weg.
Wie kann man sich eine Kollektivvertragsverhandlung vorstellen? Sitzen Sie mit dem Zahnärztekammerpräsidenten zusammen und „schnapsen sich das aus“?
Wenn es so leicht wäre! Im Hintergrund läuft bei uns ein partizipativer, demokratischer Prozess. Was fordern wir eigentlich? In der Regel bekommen wir das Mandat des Bundesausschusses für diese Verhandlungen. Idealerweise gemeinsam mit engagierten Betriebsräten und Mitgliedern. Bei den ZAss gibt es kleine und größere Gruppen an organisierten Mitgliedern. Das sind nicht viele Personen, aber die binde ich stark in die Forderungserstellung ein. Ich würde sie sogar gerne zu den Verhandlungen mitnehmen. Aber diese Kolleginnen trauen sich das nicht. Die sagen: „Ich will mich ja nicht exponieren, wenn das mein Arbeitgeber mitbekommt.“ Deshalb sitze ich untypischerweise alleine am Verhandlungstisch – mir wäre es lieber, Kolleginnen aus dem Bereich wären dabei.
In der Regel bleiben die Gehälter mehrere Jahre auf demselben Niveau, bis die Kolleginnen sagen: „Jetzt möchte ich aber wieder mal ein bisschen mehr haben.
Wer sitzt Ihnen bei den KV Verhandlungen gegenüber?
Vertreter der Zahnärztekammer, meist der Direktor, Präsident oder Präsidentin, je nachdem wer Zeit hat. Vor allem Funktionäre, die delegiert werden. In der Regel drei, vier, fünf Personen, manchmal auch Juristen. Dann reden wir über unsere Forderungen und was sie sich vorstellen können. Wir bringen unsere Argumente ein: dass der Bereich völlig unterbezahlt ist, dass sie kaum mehr Beschäftigte finden werden, wenn das so weitergeht, dass der Kollektivvertrag nicht mehr die Realität widerspiegelt. Und vor allem: dass wir eine Ist-Gehaltserhöhung brauchen – also dass die realen Einkommen jährlich erhöht werden, nicht nur die Kollektivvertragslöhne.
Das ist ein wunder Punkt: Ist-Gehaltserhöhungen. Warum ist das so schwierig durchzusetzen?
Das steht jedes Jahr auf unserem Forderungspapier, jedes Jahr bringen wir es ein. Und wir hören regelmäßig von den Zahnärzten, dass sie es nicht leisten können. Das ist natürlich frustrierend für uns und die Beschäftigten. Das trifft sicher nicht zu, aber es fehlt am Willen, das umzusetzen.
2023 standen Sie diesbezüglich aber knapp vor dem Ziel einer IST-Erhöhung
Genau! Das war wirklich ein Meilenstein. Diese Kollektivvertragsverhandlungen waren immer schwierig – das lag an der Struktur und den Personen in der Zahnärztekammer. 2023 ist uns aber erstmalig gelungen, mit der Gruppe um Dr. Gruber und der Vizepräsidentin annähernd auf Augenhöhe zu verhandeln. Wir hatten erstmals überhaupt eine Ist-Gehaltserhöhung am Tisch liegen! Wenn etwas am Tisch liegt nach einer Verhandlung, dann sagt man: Wir gehen jetzt in die jeweiligen Gremien und holen uns die Bestätigung ab. Als Gewerkschaft wissen wir meist, was wir uns leisten können. Unser Gegenüber hat sich da leider verschätzt.

Was ist passiert?
Es gab einen großen Umbruch innerhalb der Zahnärztekammer, das Verhandlungsteam war am Ende nicht mehr dasselbe. Die Vereinbarung, die wir getroffen hatten, wurde am Ende nicht akzeptiert. Das Ergebnis war, dass das neue Verhandlungsteam zwei Jahre ziemlich angefressen war auf diese „unverschämte Forderung“ einer Ist-Gehaltserhöhung. Wir brauchten mehrere Verhandlungsrunden, um überhaupt wieder in Richtung einer neuen Vereinbarung zu kommen. Das hat uns zeitlich und inhaltlich zurückgeworfen.
Wie funktionieren Gehaltserhöhungen in der Praxis? Bekommen ZAss automatisch mehr Geld?
Leider nein. In der Regel bleiben die Gehälter mehrere Jahre auf demselben Niveau, bis die Kolleginnen sagen: „Jetzt möchte ich aber wieder mal ein bisschen mehr haben.“ Es gibt durchaus viele Zahnärzte, die faire Arbeitgeber sind und regelmäßig Gehaltsanpassungen umsetzen – das soll man nicht verheimlichen. Aber sie sind nicht die übergroße Zahl. Trotzdem muss man sagen: Wenn man sich das hart durchrechnet, geht es meistens nicht so gut aus, als hätten wir ordentliche Kollektivvertragsverhandlungen – selbst in diesen positiven Fällen.
Wie läuft es denn sonst gehaltsmäßig in der Praxis, wenn keine KV IST-Erhöhung durchgesetzt werden kann?
Beim Großteil bleibt das Gehalt relativ lange gleich, und dann treffen die Kolleginnen irgendwann die Entscheidung zu kündigen und zum aktuellen Gehaltsniveau in einer neuen Praxis anzufangen. Das gilt vor allem jüngere Kolleginnen. Ältere bleiben oft mit niedrigen Gehältern sitzen.
Ein großes Zukunftsthema ist die Ausbildung. Im Ausland gibt es schon lange die DH (Dentalhygienikerin). Ist das auch Thema in den Verhandlungen?
Natürlich sprechen wir über solche Themenwolken. Das kann aber nicht im Kollektivvertrag geregelt werden. Wir vertreten auch, dass die Ausbildungen verbessert werden müssen, dass es Durchlässigkeit und Weiterentwicklung geben muss. Aber wir sehen überhaupt kein Interesse auf der anderen Seite. Das Thema Weiterentwicklung wird dort gesehen als: „Dann kosten die mir mehr, dann wollen die mehr, dann verlangen die mehr.“ Und nicht: „Dann können die mehr“ – sondern: „Das bin ich nicht bereit zu zahlen.“ Dementsprechend halten die stark fest an dieser recht überschaubaren Ausbildung fest.
Wie „überschaubar“ ist die aktuelle Ausbildung?
Die Stundenanzahl bei der ZAss – 600 Stunden Theorie – ist im Vergleich zur Pflegeassistentin ein Drittel! Bei der PAss kommen nur 144 Zusatzstunden dazu. Das ist ein Bruchteil von dem, was die Pflegeassistenz oder Pflegefachassistenz hat. Dort hat man mehr Bewegungsraum, auch in anderen Berufsfeldern zu arbeiten, und dementsprechend auch Aussicht auf höhere Gehälter. Es ist unmittelbar damit verbunden: Je besser die Ausbildung, desto höher die Gehälter.
Was bräuchte es für Veränderungen?
Da braucht es Experten aus dem Bereich heraus, die sich als Gruppe organisieren – idealerweise als Berufsverband. Wir können es als Gewerkschaft nicht alleine leisten, wir sind nicht die Experten. Mit einer solchen Gruppe könnten wir gemeinsam die Kollektivvertragsverhandlungen aufziehen. Viele Kolleginnen wünschen sich bessere Ausbildung und mehr Entwicklungsmöglichkeiten. Wenn man von der ZAss zur PAss kommt, gibt es keine Weiterentwicklung bis zur Pensionierung. Das ist auch eine Frage der langanhaltenden Motivation.
Sie erwähnten eine 38-Stunden-Woche im Kollektivvertrag. Welche Arbeitszeitmodelle sind realistisch?
Wir haben dort eine 38-Stunden-Woche – das ist schon ein Erfolg, da gesetzlich 40 Stunden gelten. Unsere Beschlusslage ist eine 35-Stunden-Woche für alle Beschäftigten. Aber Arbeitszeitverkürzung heißt nicht nur weniger Wochenstunden, sondern auch mehr Urlaub, mehr Erholung. Das ist auf unserer Agenda.
Wenn es aber um einen Kollektivvertrag geht, der essenzielle Punkte nicht erreicht hat – wie mindestens 2.000 Euro Bruttogehalt –, dann wissen wir, wo der größte Hebel ist: beim Gehalt. Das ist das große Ziel, weil Ist-Gehaltserhöhungen 75 Prozent der Beschäftigten treffen würden und die 20 bis 25 Prozent, die am Kollektivvertrag-Minimum hängen, noch wichtiger sind – weil das Gehalt so niedrig ist, dass man davon kaum leben kann.
2.000 Euro Brutto als Ziel – ist das realistisch?
Es tut mir so leid, das zu sagen, aber wir haben einen Kollektivvertrag, wo man, wenn man alleine lebt, kaum über die Runden kommt. Das wollen wir nicht. 2.000 Euro Brutto-Mindestgehalt sollten selbstverständlich sein für eine Vollzeitbeschäftigte in diesem wichtigen Beruf.
Die Zahnärztekammerwahlen stehen bevor. Beeinflusst das die Verhandlungen?
Mehr als uns lieb ist. Wir haben Signale gehört: „Im Wahljahr können wir keinen Kollektivvertrag abschließen, weil da würden wir als wahlwerbende Gruppe keine Stimmen kriegen.“ Das sind die Sorgen der handelnden Personen. Ich sehe es als Schwäche, wenn man sich so gibt. Man könnte auch sagen: „Unsere Kolleginnen verdienen mehr, dieser Kollektivvertrag ist unser gemeinsames Werk, wir sind stolz darauf, faire Arbeitsbedingungen anzubieten.“ Das passiert nicht – man zieht sich zurück.
Letztes Jahr gab es trotzdem einen Abschluss
Ja, trotz aller Schwierigkeiten. Mit viel Streit, viel Diskussion. Eine kurze Anekdote: Ich wurde fast einmal des Raumes verwiesen! lacht Aber schlussendlich hatten wir ein Ergebnis, das wir vertreten konnten. Ich glaube, das schaffen wir wieder.
Welche Appelle haben Sie zum Abschluss?
Drei Gruppen möchte ich ansprechen:
An alle Beschäftigten bei Zahnärzten – ob Mitglied oder nicht: Ich bedanke mich bei allen, die sich engagiert haben, die sich bei uns melden, die ihre Arbeitgeber anschreiben und sagen „wir verdienen mehr, wir brauchen mehr“. Meine Einladung: Informiert euch über Gewerkschaftsmitgliedschaft! Ich würde mich freuen, wenn wir eine Gruppe zusammenbekommen, die bei den Verhandlungen dabei ist. Das ist keine elitäre Veranstaltung – wir wünschen es uns sogar.
An die Zahnärzte: Bitte engagiert euch auch bei eurer Zahnärztekammer, wenn ihr glaubt, dass das der falsche Weg ist. Beeinflusst die Kollegen, die das Sagen haben – im Idealfall im Sinne eurer Mitarbeiter .
An die Zahnärztekammer: Trotz aller Schwierigkeiten haben wir letztes Jahr einen Abschluss geschafft. Das ist die Einladung: dass wir wieder in Verhandlung treten und eine sozialpartnerschaftliche Einigung schaffen – trotz bevorstehender Wahl.