In diesem Interview widmen wir uns einem oft unterschätzten, aber hochrelevanten Thema der modernen Zahnmedizin: der Periimplantitis. Dazu spricht dental JOURNAL Chefredakteur Oliver Rohkamm mit Dr. Kristina Bertl, einer führenden Expertin auf dem Gebiet der Parodontologie und Implantatmedizin. Sie ist Privatdozentin an der Sigmund Freud Universität in Wien an der Abteilung für Parodontologie und arbeitet klinisch in einem Krankenhaus in Schweden.
Oliver Rohkamm: Oft wird ja ungern über Periimplantitis gesprochen, manche halten es für eine Randerscheinung. Wie verbreitet ist das Problem wirklich?
Dr. Kristina Bertl: Ich spreche eigentlich sehr gern darüber, weil ich eben finde, dass es wirklich ein wichtiges Thema ist. Wenn man in die Literatur schaut, zeigen systematische Übersichtsarbeiten immer wieder ähnliche Zahlen: Ungefähr jedes zweite Implantat ist von einer periimplantären Mukositis betroffen und jedes vierte bis fünfte Implantat von einer Periimplantitis, das sind rund 20%. Wenn man bedenkt, dass jährlich 6 bis 8 Millionen Implantate in Europa verkauft werden, bedeutet das mehr als eine Million neue Periimplantitis-Fälle jedes Jahr. Das zeigt ganz gut, dass das keine Randerscheinung ist.

Oliver Rohkamm: Das zeigt die Dringlichkeit! Wo liegen denn die Ursachen für diese Problematik?
Dr. Kristina Bertl: Die Ursachen sind sehr vielfältig und auf beiden Seiten zu suchen: sowohl auf Patientenseite als auch auf Ärzteseite. Auf Patientenseite sind Mundhygiene und optimale Plaquekontrolle das A und O. Wenn diese nicht funktionieren, ist das Risiko einer periimplantären Erkrankung hoch. Klassische Risikofaktoren sind auch Rauchen und unbehandelter Diabetes, ähnlich wie bei der Parodontitis. Aber auch auf Behandlerseite können Fehler auftreten, die das Auftreten begünstigen: Zum Beispiel, ob ausreichendes Knochen- und Weichgewebsvolumen vorhanden ist, wie die Prothese gestaltet ist und welches Implantat verwendet wird.
Oliver Rohkamm: Wie ist Periimplantitis definiert?
Dr. Kristina Bertl: Erst seit 2018 gibt es eine einheitliche Definition, die in Zusammenarbeit der Europäischen und Amerikanischen Gesellschaft für Parodontologie erarbeitet wurde.
- Periimplantäre Gesundheit bedeutet gesundes Gewebe: keine Blutung, kein Pusaustritt, keine erhöhten Sondierungstiefen. Der marginale Knochenverlust nach der Implantation (physiologisches Remodeling) sollte maximal 2 mm betragen.
- Die periimplantäre Mukositis hat die gleichen Kriterien bezüglich des Knochenverlusts (max. 2 mm Remodeling), zeigt aber Blutung, möglichen Pusaustritt und erhöhte Sondierungstiefen.
- Die Periimplantitis ist gekennzeichnet durch einen progressiven Knochenverlust, der über dieses initiale Remodeling hinausgeht. Spätestens ab 3 mm Knochenverlust spricht man von einer eindeutigen Periimplantitis, zusätzlich zu Blutung, Pusaustritt und erhöhten Sondierungstiefen.
Oliver Rohkamm: Das heißt, die beginnende Periimplantitis startet immer mit der Mukositis. Welche Rolle spielt diese Früherkennung für die Rettung des Implantats?
Dr. Kristina Bertl: Aus meiner Sicht eine sehr, sehr große. Man sollte Blutungen nicht ignorieren. Patienten mit unbehandelter Mukositis haben eine fast 50%ige Chance, dass diese innerhalb von fünf Jahren in eine Periimplantitis übergeht. Es ist extrem wichtig, Implantate genau wie natürliche Zähne mit einer Sonde zu sondieren und nicht zu befürchten, dabei Schaden anzurichten. Ohne diese klinischen Parameter, kombiniert mit Röntgenbildern, kann man Probleme nicht frühzeitig erkennen.
Oliver Rohkamm: Bisher war der Standardweg bei fortgeschrittener Periimplantitis oft die Chirurgie. Aber Ihr Spezialgebiet sind ja Ansätze, die man vorher starten kann. Was hat es mit diesem „Clean & Seal“ Protokoll auf sich, das Sie als Paradigmenwechsel bezeichnen?
Dr. Kristina Bertl: Absolut. Der erste Schritt in der Behandlung von Periimplantitis ist immer die nicht-chirurgische Therapie, gemäß den S3-Behandlungsleitlinien. Das Problem ist, dass die Erfolgsraten bei der nicht-chirurgischen Periimplantitis-Therapie deutlich geringer sind (zwischen 15% und 50%) als bei einer parodontalen Therapie. Man versucht daher, neue Ansätze zu finden, um diese relativ schlechte Erfolgsrate zu verbessern. Aktuell leitlinienbasiert empfohlen ist die Reinigung mit Küretten und Ultraschall mit speziellen Peekaufsätzen.
Das „Clean & Seal“ Protokoll ist ein zweiter Ansatz, der darauf abzielt, den Therapieeffekt chemisch zu unterstützen und zu verbessern. Es ist eine Kombination aus zwei Produkten: Perisolv und Hyadent.
- Perisolv ist eine Mischung aus Natriumhypochlorit, das vor der Behandlung mit einer Aminosäurelösung gepuffert wird, sodass die Lösung knapp unter einem halben Prozent Natriumhypochlorit enthält. Die Idee ist, dass es bei der Biofilmentfernung und der Entfernung des Entzündungsgewebes unterstützt, wenn es in die Taschen um das Implantat eingebracht wird. Dieser Reinigungsschritt sollte 4-5mal wiederholt werden.
- Nach der Reinigung appliziert man Hyadent von Regedent das primär quervernetzte Hyaluronsäure ist. Hyaluronsäure hat viele gute Eigenschaften in der Zahnmedizin: Sie stabilisiert sehr schön das Blutkoagel, was der wichtigste Schritt für eine gute Wundheilung ist, und sie wirkt bis zu einem gewissen Grad bakteriostatisch. Die Quervernetzung der Hyaluronsäure ist entscheidend, da sie länger stabil bleibt und somit eine längere Halbwertszeit im Körper hat, bevor sie abgebaut wird. Die Idee ist, dass ein längerer Verbleib im Defekt einen länger anhaltenden positiven Effekt hat.
Oliver Rohkamm: Wann genau beginnen Sie mit diesem Protokoll? Bereits bei Mukositis oder erst bei Knochenabbau?
Dr. Kristina Bertl: Ich setze es bei beginnendem Knochenverlust ein, also bei Periimplantitis. Bei Mukositis konzentriere ich mich primär auf Mundhygiene, mechanische Reinigung und gegebenenfalls Prothesenanpassung, ohne das Clean & Seal Konzept. Bei Periimplantitis aber setze ich es direkt in der Anfangsphase der nicht-chirurgischen Therapie ein, nachdem Mundhygiene und Prothesendesign optimiert wurden. Ich konnte damit meine Erfolgsrate bei der nicht-chirurgischen Therapie deutlich erhöhen, insbesondere bei Defekten von 3-4 mm Knochenverlust.
Oliver Rohkamm: Kann dieser Knochenabbau damit nur gestoppt werden, oder ist sogar eine Regeneration möglich?
Dr. Kristina Bertl: Das Ziel ist, den Knochenverlust zu stoppen. In manchen Fällen sehen wir aber auch eine Regeneration des Defekts von 1 bis 2 mm allein durch diese nicht-chirurgische Therapie, ohne Knochenersatzmaterial. Bei vielen Patienten können wir sehen, dass die Entzündung ausheilt und weiterer Knochenverlust verhindert wird. Je früher man mit der Behandlung der Periimplantitis anfängt, desto größer sind die Erfolgsaussichten. Bei sehr ausgedehnten Defekten (5, 6, 7 mm Knochenverlust) kann jedoch immer noch Chirurgie notwendig sein.
Oliver Rohkamm: Also ist das Geheimnis diese quervernetzte Hyaluronsäure und nicht einfach irgendeine Hyaluronsäure?
Dr. Kristina Bertl: Es gibt aktuell keinen direkten wissenschaftlichen Vergleich in klinischen Studien zwischen quervernetzter und nicht quervernetzter Hyaluronsäure für diese Indikation. Produkte wie Hyadent von Regedent sind quervernetzt, während andere Produkte wie Gengigel oder Afterclear nicht quervernetzt sind. Die Idee hinter der Quervernetzung ist die biologische Vermutung, dass die längere Stabilität zu einem besseren Effekt führen könnte. Aus meiner klinischen Erfahrung kann ich sagen, dass Produkte mit Hyaluronsäure, wie die von Regedent, eine sehr positive Auswirkung auf die Behandlung von Periimplantitis-Defekten haben.
Oliver Rohkamm: Hat dieser Ansatz auch Nachteile oder Nebenwirkungen?
Dr. Kristina Bertl: Nebenwirkungen sind mir keine bekannt, wenn es in dieser Form mit lokaler Applikation angewendet wird. Der einzige Punkt sind die finanziellen Aspekte für den Patienten, wenn die Behandlung nicht den gewünschten Effekt erzielt.

Oliver Rohkamm: Falls es aber jetzt so ist, dass diese nicht-chirurgische Periimplantitis-Therapie auf Basis der Hyaluronsäure nicht anschlägt, welche Alternativen würde es dann geben, um das Implantat zu retten?
Dr. Kristina Bertl: Dann landen wir in der chirurgischen Therapie. Diese teilt sich je nach Defektkonfiguration in drei große Kategorien: rekonstruktive Therapie (Knochenaufbau), nicht-rekonstruktive Therapie (Minimierung der Sondierungstiefen) oder eine Kombination aus beidem. Das ist die letzte Chance, um das Implantat nicht entfernen zu müssen. Die Erfolgsraten bei chirurgischen Ansätzen liegen unseren Daten zufolge bei 75 bis 80% auf längere Sicht. Allerdings sind Patienten verständlicherweise nicht begeistert von weiteren chirurgischen Eingriffen, und viele Implantatpatienten sind älter, was zusätzliche Komorbiditäten und Risiken mit sich bringen kann. Daher möchte man so viel wie möglich nicht-chirurgisch behandeln.
Oliver Rohkamm: Wie wichtig ist die Nachsorge und Patientenschulung, um einen Langzeiterfolg zu sichern?
Dr. Kristina Bertl: Das ist essenziell! Ich unterscheide hier zwei präventive Ansätze:
- Primärprävention (Verhinderung des ersten Auftretens): Die beste Therapie ist, dass ein Problem gar nicht erst auftritt.
- Eine Baseline-Untersuchung nach Übergabe der prothetischen Versorgung ist entscheidend. Der Patient sollte innerhalb von drei Monaten zur Kontrolle einbestellt werden, um einen genauen Parostatus zu erheben und die Sondierungstiefen zu dokumentieren. Implantate können auch bei Gesundheit höhere Sondierungstiefen (z.B. 6-8 mm) aufgrund dicker Mukosa aufweisen, was man als Referenzpunkt kennen muss.
- Eine radiologische Kontrolle bei Übergabe und vor allem nach einem Jahr ist wichtig für die optimale Ausgangsdokumentation.
- Patienten mit Implantaten sollten mindestens zweimal jährlich zur Mundhygiene und Kontrolle kommen, auch ohne Risikofaktoren.
- Eine umfassende Aufklärung der Patienten ist unerlässlich, da viele glauben, ein Implantat sei problemloser als ein natürlicher Zahn. Das Gegenteil ist der Fall: Implantate sind viel anfälliger für Mukositis und Periimplantitis und schwieriger zu behandeln.
- Sekundärprävention (Verhinderung eines erneuten Auftretens): Dies bedeutet eine regelmäßige Mundhygienesitzung und Kontrolle.
- Im ersten Jahr nach der Therapie bestelle ich Patienten alle drei Monate ein.
- Danach wird das Intervall je nach Patientenfaktoren (Mundhygiene, Rauchen, Parodontitis-Historie, allgemeine medizinische Situation) angepasst.
- Das A und O ist eine lebenslange Recall-Therapie.
Oliver Rohkamm: Für alle, die tiefer in das Thema eintauchen möchten: Sie sind ja auch auf dem Symposium für moderne Hyaluronsäure in Parodontologie und Dentalchirurgie in Berlin im September 2025. Können Sie dazu noch etwas sagen?
Dr. Kristina Bertl: Ja, sehr gerne! Das Symposium findet am 12. und 13. September dieses Jahres in Berlin statt. Es dreht sich alles um die Anwendungsmöglichkeiten von Hyaluronsäure und dem Clean & Seal Konzept und ist sowohl für den parodontalen als auch den oral-chirurgischen Bereich gedacht. Es gibt Fachvorträge, interaktive Roundtables und Hands-on-Workshops. Mein Vortrag wird sich mit der Frage befassen: Was ist ohne Chirurgie mit Biologika wie Hyaluronsäure in der Behandlung von parodontalen und periimplantären Defekten möglich? Ich kann diesen Kongress jedem empfehlen, der sich für dieses Thema interessiert. Zusätzlich bieten wir an der Sigmund Freud Universität in Wien auch ein- bis zweitägige Kurse zu diesen Themen an, inklusive Hands-on und Live-Chirurgie. Es gibt also keine Ausrede, sich nicht weiterzubilden!.