Dienstag, Juli 16, 2024
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«Ich kann auch über eine längere Durststrecke was finanzieren, wenn ich daran glaube.»

Sich als traditionsbewusstes Familienunternehmen in einer immer wettbewerbsintensiveren Branche wie die der Dentalindustrie zu behaupten, ist keine einfache Sache. Dieser Herausforderung stellt sich Tag für Tag Martin Dürrstein, CEO von Dürr Dental, mit viel Elan und noch mehr Erfolg. Das dental journal unterhielt sich mit dem Chef des schwäbischen Dentalspezialisten über gemachte Erfahrungen und Veränderungen am Markt.

Im Verlauf des Jahres 1948 erhielten die Gebrüder Karl und Wilhelm Dürr vom Wirtschaftsministerium Baden-Württembergs die Bewilligung zur Errichtung eines Fabrikationsbetriebes, folglich entstand im September jenes Jahres offiziell die «K. & W. Dürr Dental Fabrikation». Die Dürr-Brüder betrieben ursprünglich eine feinmechanische Werkstatt, bis 1941 ein befreundeter Zahnarzt sie darum bat ihren fachmännischen Blick auf einen defekten Bohrer zu werfen. Heute, etwas über 80 Jahre später, ist aus dem einstigen Feinmechanik-Atelier eines der renommiertesten Dentalunternehmen geworden, welches in über 45 Ländern präsent ist und rund 1’300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählt. An der Spitze von Dürr Dental steht seit 2004 Martin Dürrstein, der die dritte Generation des Familienunternehmens vertritt.

Eines ihrer Credos lautet «Fest verwurzelt in die Zukunft blicken.» Wie schlägt man als Unternehmen den Bogen von gestern zu übermorgen.

Dies ist nicht ganz einfach, so etwas kann durchaus disruptiv sein. Die meisten Hersteller von Schreibmaschinen, zum Beispiel, wurden nicht zu Computermarken. Als Unternehmer muss man sich in einem solchen Fall entscheiden, ob man sich von einem bestimmten Geschäftssegment trennen will oder nicht, was ich allerdings aus unternehmerischer Sicht nicht wirklich als gute Entscheidung empfinde.

Und wie hat dies Dürr Dental gehandhabt?

In unserem Fall können wir die Nassfilmentwicklung als Beispiel nehmen. Wir hatten mit XR24 eine sehr starke Positionierung, doch irgendwann haben wir gespürt, dass die digitale Bildgebung auf Vormarsch ist. Man freut sich über den guten Umsatz und ist dann vielleicht etwas gelähmt, wenn dieser zurück geht. Meine Meinung ist jedoch, dass man in solchen Momenten mit Vollgas rein ins neue Thema gehen muss, zumal es eh keine Alternativen gibt.

Wie muss ich das verstehen?

Um bei Dürr Dental als konkretes Beispiel zu bleiben, so haben wir bereits 1997 unsere erste digitale Lösung mit einem intraoralen Sensor auf den Markt gebracht. In Folge sind wir heute für die Bildspeicherfolie und die Intraoralaufnahmen sehr bekannt und haben damit auch eine wirklich starke, globale Präsenz.

Forschung und Entwicklung spielen bei Dürr Dental somit eine wichtige Rolle?

Als ich 2004 die Verantwortung für die Firma übernommen habe, hatten wir eine F&E-Quote von vielleicht vier Prozent, heute sind es acht Prozent. Wenn man zusätzlich bedenkt, wie erfolgreich unser Unternehmen gewachsen ist, so bedeutet dies eine Vervielfachung des F&E-Budgets in absoluten Zahlen. Damit sind wir weit über dem prozentualen Schnitt von anderen, börsenkotierten Unternehmen, von denen wir die Zahlen kennen.

Holen Sie sich bei der F&E auch extern Ideen?

Wir haben Partnerschaften mit verschiedenen Universitäten, allerdings deutlich mehr mit Technologiehochschulen als mit zahnmedizinischen Fakultäten. Wir sind zum Beispiel mit dem Karlsruher Institut für Technologie KIT gut vernetzt und integriert.

Neuentwicklungen waren schon immer ein Teil Ihrer Firmengeschichte?

Eigentlich müssten Sie mit meinen Vorgängern darüber sprechen, mit meinem Vater oder mit Walter Dürr. Doch eine große Erfindung, welche auf die Geschichte von Dürr Dental zurückgeht, ist die Absaugung. Früher saß der Patient auf einem Stuhl wie an einem Küchentisch und der Zahnarzt hat versucht, so gut wie möglich seiner Aufgabe nachzukommen. Erst nachdem Dürr Dental die Absaugung erfunden hatte, war der Schluckreflex nicht mehr vorhanden, und man konnte man den Patienten legen. Dies hat natürlich die Zahnmedizin revolutioniert, einerseits für die Befindlichkeit des Patienten, vor allem aber für den Zahnarzt. Schließlich ist es ein Wahnsinnsunterschied, ob man einen Oberkiefer im Sitzen oder im Liegen behandeln kann. Das sind so Meilensteine, die gelingen einem immer mal wieder.

Bei der starken Konkurrenz von heute sind solch fundamentale Erfindungen eher schwieriger. Was wäre heute ein solcher Innovations-Meilenstein?

Der Systemgedanke, die Vernetzung, die Datentransformation, generell gesagt, das Übergreifende. Als ich hier vor 20 Jahren angefangen habe, war gefühlt jedes Gerät eine eigene Insel, und es war der Zahnarzt, der die Geräte in seiner entsprechenden Reihenfolge benutze und bearbeitete. Heute haben wir den digitalen Workflow, und wenn Sie da noch verschiedene KI-Funktionen dazu nehmen, dann erhält der Zahnarzt Unterstützung, die er so vorher gar nicht kannte.

Die Künstliche Intelligenz als Schlüssel zur Zukunft?

Wir haben an der letzten IDS in Köln die KI in unserer Software vorgestellt, konkret die Einzeichnung des Wurzelkanals in jeder 3D-Aufnahme, was ja etwa beim Setzen eines Implantats zwingend notwendig ist. Die KI kann vor allem in der Röntgendiagnostik unglaublich viele Krankheitsbilder bearbeiten, die vermutlich für einen Menschen irgendwann zu viel werden.

Die Künstliche Intelligenz sozusagen als medizinscher Wissenssupport?

Die zahnmedizinische Ausbildung ist auf dieser Welt nicht überall gleich, die KI kann ganz gut dazu beitragen solche Unterschiede auszugleichen. Ein europäischer Zahnarzt, zum Beispiel, bräuchte von seinem Wissensstand her nicht unbedingt die Künstliche Intelligenz, sie kann hier jedoch den Arbeitsablauf schneller machen. Beim Beispiel der Wurzelkanaleinzeichnung geht es nicht so sehr darum, ob der Behandler das kann oder nicht, sondern, dass er auf einen Knopf drücken und so fünf Minuten sparen kann.

Und anderswo?

In anderen Kontinenten kann die Ausbildung eine völlig andere sein. Ohne in ein Klischee zu verfallen, aber vielleicht hat ein Zahnarzt in ärmeren Teilen der Welt die Tiefe der Wurzel bei seiner Behandlung gar nicht bedacht. Ich bin davon überzeugt, dass in unterschiedlichen Ländern die Künstliche Intelligenz unterschiedlich stark medizinisches Wissen vermitteln kann.

Apropos andere Teile der Welt: Sie werden firmenintern als der «Globalisierer» bezeichnet…

Dürr Dental hat schon immer Exporte gehabt, aber es stimmt, ich habe die Internationalisierung intensiv vorangetrieben. Als ich angefangen habe, hatten wir in zehn Ländern eigenes Personal, wobei ich dies relativ schnell, in zehn Jahren, auf vierzig hochgefahren habe.

Von was für Ländern sprechen wir?

Ich ging vor allem Länder an, die allgemein nicht so im Fokus gewesen sind. Wir haben relativ früh jemanden in Dubai angestellt, was damals nicht üblich gewesen ist. Auch in Thailand, Indonesien, im Maghreb, in Ägypten oder in der Türkei haben wir Leute engagiert, in Kuala Lumpur haben wir haben einen großen Hub aufgebaut. Wir sind ein Unternehmen, das auch mal was ausprobiert.

Was meinen Sie damit?

Die Betreuung von Kunden ist eine wichtige Angelegenheit, und daher ist es mir wichtig, dass unsere Kunden in ihrer Kultur, in ihrer Sprache und in ihrer Zeitzone jemanden haben, den sie ansprechen können. Unternehmerisch stellt sich hier die Frage, ähnlich dem «Henne-Ei-Problem»: Will man in einem neuen Markt rasch Umsatz generieren oder sollte man zuerst, sagen wir mal, das Pflänzchen gießen, bevor man erntet? Ich bin auch mal bereit eine wirtschaftlich unsichere Entscheidung zu treffen und dem Thema einfach mal zwei Jahre Zeit zu lassen, um zu schauen, ob es klappt oder nicht. Ich kann auch über eine längere Durststrecke was finanzieren, wenn ich daran glaube.

Können Sie sich das erlauben? Dürr Dental ist doch eine Aktiengesellschaft?

Richtig, wir sind eine SE, aber diese wird privat gehalten. Wir haben somit nicht den Druck wie börsenkotierte Unternehmen, jedes Quartal besser zu sein als das Vierteljahr zuvor. Das heißt aber nicht, dass wir intern keinen gesunden Selbstanspruch an uns haben.

Für Dürr Dental als typisch schwäbisches Unternehmen spielt, so wage ich es zu behaupten, die Qualität eine besondere Rolle. Funktioniert dieses Qualitätsverständnis etwa auch außerhalb der Schweiz oder Österreichs?

Wenn jemand von Dürr Dental ein Produkt kauft, dann erwartet er, egal ob es sich um eine Absaugung oder einen Kompressor handelt, dass er für lange Zeit Ruhe hat. Dies ist auch für uns als Premiumanbieter unser Anspruch, und dem müssen wir gerecht werden. Es gibt etwa auch in Lateinamerika oder Marokko Zahnärzte, die bewusst etwas mehr Geld ausgeben wollen, denn sie verstehen, dass Qualität ihnen im Praxisalltag nur Vorteile bringt.

Muss man die Dürr Dental Akademie in diesem Zusammenhang sehen?

Wir liefern nur über den Fachhandel aus, und wir liefern nur an Händler, die zuvor bei uns geschult worden sind. Die Akademie befähigt somit den Fachhandel unsere Geräte bestmöglich zu warten und, sollte es tatsächlich zu einem Störfall kommen, schnell und kompetent handeln zu können. Wir sind, wie bereits erwähnt, ein Premiumanbieter und wir haben einen Premiumanspruch. Wenn ein Zahnarzt für unsere Geräte etwas mehr Geld ausgibt, dann möchte er die Sicherheit haben, dass er nicht im Regen stehen gelassen wird.

Sind Reparaturen durch den Handel in unserer schnelllebigen Wegwerfgesellschaft überhaupt noch angebracht?

Unsere Geräte waren schon immer reparierbar, kommt aber dem heute aktuellen Thema der Nachhaltigkeit entgegen. In diesem Sinne haben wir unsere Zulieferindustrie im Umkreis von 100 Kilometer, und somit auch eine sehr hohe, lokale Wertschöpfung. Hinzu kommt so auch das aktuelle Thema der Arbeitsbedingungen in der Zulieferindustrie, und die ist bei uns unkritisch, absolut in Ordnung.

Dürr Dental hat somit keine Zulieferer aus Asien?

Wir bekommen nahezu nichts aus China. Wir haben gute Erfahrungen mit verlässlichen Partnern gemacht, die am Schluss auch in eine verlässliche Produktqualität übergeht. Heute ein ganz großes Thema ist die Lieferfähigkeit, und da fahren wir mit unseren lokalen Partnern einfach gut mit. Wir sind auch deshalb recht gut durch die Krise gekommen, weil wir einfach lieferfähig gewesen sind.

Nochmals zurück zur Akademie. Wendet sich diese nicht auch an die Behandler?

Ja, wir haben auch Zahnarztschulungen. Die sind für uns auch deshalb interessant, weil wir dort immer Raum für den Dialog haben und ganz bewusst auch fragen «habt ihr Anliegen und Ideen für uns?».

www.duerrdental.com

Daniel Izquierdo-Hänni
Daniel Izquierdo-Hänni
Der Schweizer Marketing- und Kommunikationsprofi Daniel Izquierdo-Hänni ist seit Beginn seiner beruflichen Laufbahn auch journalistisch tätig, die Dentalbranche kennt er seit über fünfzehn Jahren bestens. Unter anderem gibt er seit über zehn Jahren Kurse zu den Themen Praxismarketing und Patientenkommunikation in der Zahnmedizin. Als Autor beim Dental Journal kann er seine beiden Kompetenzfelder ideal miteinander verbinden. Privat und beruflich pendelt er zwischen seiner ehemaligen Heimatstadt Basel und seinem Wohnort Valencia/Spanien hin und her.
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