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Prof. Dr. Sculean über „Die tickende Zeitbombe“ Periimplantitis

Professor Dr. Anton Sculean gibt im Interview mit dem dental JOURNAL Einblicke in hochprävalente Periimplantitis und erörtert Ansätze zur Prävention durch das Implantatdesign (z.B. Patent-System), nicht-chirurgische Therapien mit Hyaluronsäure (Clean & Seal-Prozess) sowie vielversprechende synthetische Knochenersatzmaterialien (Cytrans) für die Zukunft der dentalen Regeneration.

Podcast #41: Keine Periimplantitis mehr? Ein Interview mit Prof. Dr. Sculean

Prof. Dr. Anton Sculean, Klinikdirektor der Parodontologie an der Universität Bern und einer der führenden Experten mit über 600 Publikationen, schlägt Alarm: Periimplantitis ist hochprävalent und ihre Behandlung enorm schwierig. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache – fast die Hälfte aller Implantate (43%) entwickelt eine periimplantäre Mukositis, während etwa 22% der Implantate von Periimplantitis mit Knochenverlust betroffen sind.

Die tickende Zeitbombe: Periimplantitis auf dem Vormarsch

Das Problem verschärft sich dramatisch, da weltweit Millionen von Implantaten eingesetzt werden, aber oft eine adäquate Nachsorge fehlt. „Es ist wie eine tickende Zeitbombe“, warnt Sculean. „Anfangs treten keine akuten Schmerzen auf, doch irgendwann entwickeln sich Entzündungen, Taschenbildung oder sogar Abszesse, was letztlich zum Implantatverlust führen kann.“

Warum ist Periimplantitis so aggressiv? Im Gegensatz zu natürlichen Zähnen, die über einen schützenden Zahnhalteapparat verfügen, haben Implantate nur einen direkten Verbund mit dem Knochen. Greift eine Entzündung um sich, verläuft sie daher viel aggressiver als bei natürlichen Zähnen.

Präventive Revolution: Das Patent-Implantatsystem

Die gute Nachricht: Innovative Implantatsysteme können das Periimplantitis-Risiko bereits im Vorfeld minimieren. Das Patent-System punktet mit zwei entscheidenden Vorteilen:

1. Optimale Platzierung auf Tissue Level (Weichgewebsniveau)

Das System wird oberhalb der Schleimhaut platziert und besitzt eine transmukosale Komponente, die ein zu tiefes Setzen verhindert. Dies erleichtert die Reinigung erheblich und reduziert das Entzündungsrisiko.

2. Revolutionäre Oberflächentechnologie

Die spezielle Oberflächenbeschaffenheit des Implantathalses ermöglicht eine deutlich bessere Anlagerung der Weichgewebszellen. Diese weichgewebige Manschette fungiert als natürliche Schutzbarriere gegen Bakterien.

Sculeans Forschungsteam konnte in Tiermodellen beeindruckende Ergebnisse erzielen: „Bereits nach wenigen Tagen zeigte sich ein sehr starker Verbund von Epithelzellen und Bindegewebe auf dieser Oberfläche. Histologische Schnitte belegten eine extrem starke Anhaftung – ein Teil des Epithels blieb sogar auf der Oberfläche haften.“

Klinische Langzeitergebnisse aus zwei unabhängigen Studien (Dr. Becker, Düsseldorf und Dr. Karapataki, Griechenland) bestätigen das Potenzial: Selbst bei Patienten mit suboptimaler Mundhygiene zeigten sich relativ wenig oder fast keine Periimplantitis-Fälle.

Prof. Dr. Dr. Anton Sculean betonte eingangs: „Periimplantitis ist hochprävalent und die Behandlung enorm schwierig! In der Langzeitstudie der Universität Graz haben wir gesehen, dass Prävention möglich ist – sogar bei Parodontitis-Patienten.“

Implantatrettung ohne Skalpell: Der Clean-and-Seal-Prozess

Wenn Prävention versagt hat, bietet die nicht-chirurgische Therapie mit Hyaluronsäure neue Hoffnung. Der innovative „Clean-and-Seal“-Prozess kombiniert zwei bewährte Ansätze:

Clean-Phase: Einsatz von Perisolv (Natriumhypochlorit-Kombination), das Biofilm und Bakterien auflöst und entzündetes Gewebe aufweicht für eine optimale mechanische Entfernung.

Seal-Phase: Applikation quervernetzter, hochmolekularer Hyaluronsäure (Hyadent BG von Regedent) zur Entzündungshemmung und Gewebestraffung.

„Speziell die quervernetzte, hochmolekulare Formulierung zeigt einen entzündungshemmenden Effekt und kann sogar zur Regeneration eines parodontalen Defekts führen“, erklärt Sculean. Besonders bei inzipienter Periimplantitis mit geringem Knochenverlust zeigt diese Therapie vielversprechende Ergebnisse.

Zukunft der Knochenregeneration: Synthetische Materialien im Fokus

Wenn Implantate entfernt werden müssen, entstehen oft große Knochendefekte. Hier könnte Cytrans von GC, ein synthetisches Carbonat-Apatit aus Japan, die Zukunft der Knochenregeneration einläuten.

Warum synthetische Materialien? Bisher dominierten tierische Materialien oder Allografts aus menschlichem Kadaverknochen den Markt. Cytrans bietet als ingenieurtechnisch hergestelltes Material entscheidende Vorteile:

– Hoch osteokonduktive Eigenschaften
– Optimale Anlagerung von Knochenzellen
– Kontrollierte Resorptionsrate
– Standardisierte Produktqualität

„Wenn wir schon auf dem Mond spazieren, sollten wir auch in der Lage sein, biologisch etwas herzustellen, das nicht von einem Kadaver stammt“,

betont Prof. Dr. Sculean die Bedeutung synthetischer Innovationen.

Fazit: Paradigmenwechsel in der Implantatmedizin

Die Implantatmedizin steht vor einem Paradigmenwechsel. Während Periimplantitis lange Zeit als unvermeidliches Risiko galt, zeigen aktuelle Entwicklungen drei vielversprechende Ansätze:

1. Prävention durch Design: Innovative Implantatsysteme wie Patent können das Periimplantitis-Risiko bereits bei der Insertion minimieren.

2. Nicht-chirurgische Rettung: Der Clean-and-Seal-Prozess mit Hyaluronsäure bietet schonende Alternativen zur chirurgischen Implantatrettung.

3. Synthetische Zukunft: Materialien wie Cytrans könnten die Abhängigkeit von biologischen Ersatzmaterialien beenden.

Die Botschaft ist klar: Implantate sind eine hervorragende Therapie, müssen aber im Rahmen eines wissenschaftlich fundierten Gesamtkonzepts eingesetzt werden. Nur durch die Kombination von innovativem Design, präventiver Betreuung und evidenzbasierten Therapieansätzen lässt sich die „tickende Zeitbombe“ Periimplantitis entschärfen.

Das komplette Interview mit Prof. Dr. Anton Sculean finden Sie hier.

Prof. Dr. Anton Sculean ist Klinikdirektor der Parodontologie an der Universität Bern und einer der führenden Experten im Bereich der Parodontologie mit über 600 wissenschaftlichen Veröffentlichungen.

Oliver Rohkamm
Oliver Rohkamm
Immer auf der Suche nach neuen zahnmedizinischen Innovationen. Hat ein Faible für alles, was mit dem digitalen Workflow in der Zahnmedizin zu tun hat. Zusätzlich interessiert er sich für Computer und alles was zwei Räder hat. In der Freizeit ist er vor allem auf dem Motorrad, Rennrad oder Mountainbike zu finden.
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