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Klinische Behandlungspfade – Ziele, Etappen, Stolpersteine

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Autor Dr. Gregor Ley auf dem Deutschen Zahnärztetag 2016

„Klinische Behandlungspfade – Ziele, Etappen, Stolpersteine“. So lautete das diesjährige Motto des Deutschen Zahnärztetages in Frankfurt, das den Lückenschluss zwischen Wissenschaft und Praxisalltag herzustellen versprach. Hochkarätige Vortragende und eine Messe mit mehr als 260 Ausstellern boten ein abwechslungsreiches Kongressprogramm für Studenten und Zahnärzte.

von Dr. Gregor Ley

Mit einem brisanten Thema stieg Prof. Dr. Frank Schwarz (Düsseldorf) in die Vortragsreihe ein. Es blutet, es eitert, was tun? Periimplantitis ist aktueller denn je. Grund genug eine S3-Leitlinie zur Behandlung dieser Erkrankung vorzustellen. Grundsätzlich wird nach wie vor zwischen zwei Phänotypen unterschieden: die periimplantäre Mukositis und die Periimplantitis. Bei der Diagnostik kann man sich auf relativ einfache Kriterien verlassen. Wichtig sind die Blutung und der periimplantäre Knochenabbau, der radiologisch nachweisbar sein sollte. Die Ätiologie ist laut dem Vortragenden relativ simpel: Biofilm, verbunden mit zusätzlichen Risikofaktoren wie Rauchen und parodontaler Vorerkrankung. Nach Implantation gilt also klar: die häusliche Mundhygiene ist das A und O, eine ausführliche Aufklärung und Führung der Patienten ein absolutes Muss.

Für die Therapie gibt die Leitlinie klare Empfehlungen:

image2Bei einer periimplantären Mukositis soll eine regelmäßige professionelle, mechanische Plaqueentfernung erfolgen. Eine vollständige Abheilung der peiimplantären Mukositis kann nicht bei allen Patienten vorhersagbar erreicht werden. Daher sollten regelmäßige Nachkontrollen (z.B. alle 3 Monate) zur frühzeitigen Erkennung des Bedarfs einer Nachbehandlung eingeplant werden. Alternative oder adjuvante Maßnahmen zu einem manuellen Debridement sollten für die nichtchirurgische Therapie der Periimplantitis eingesetzt werden. Evidenz liegt vor für die alternative Monotherapie mittels Er:YAG-Laser und Glycin-gestützten Air-Polishings, sowie für den adjuvanten Einsatz lokaler Antibiotika mit kontrollierter Freisetzung, CHX-Chips und antimikrobieller photodynamischer Therapie.

Der Behandlungserfolg und die Stabilität der erzielten klinischen Ergebnisse (> 6 Monate) sollte aber insbesondere bei initial tiefen Taschen von >7 mm als prognostisch ungünstig eingestuft werden.

Sollte die adjuvante Therapie nicht ausreichen muss die nächste Stufe gezündet werden: Eine offene Lappen-OP. Welches chirurgische Protokoll herbei zu bevorzugen ist, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch aus der Literatur nicht ableiten. Der wichtigste Punkt ist in jedem Fall die Entfernung des Granulationsgewebes und eine Dekontamination der Implantatoberfläche. Je nach Höhe des Knochenverlustes sollten anschließend knochenaugmentative Maßnahmen durchgeführt werden. Allerdings gilt: Je größer der Knochendefekt, desto weniger affin ist der Knochen an dieser Stelle für augmentative Maßnahmen.

image8Ein weiteres Problem stellen parodontale Rezessionen dar. Ist bei eigenen Zähnen hier ein gewisser Spielraum gegeben, heisst es bei Implantaten: hop oder top. Denn bereits ein halber Millimeter sichtbares Titan kann in der ästhetischen Zone ein großes Problem darstellen.

Keinerlei Spielraum gibt es hingegen bei den Indikationen für Explantation. Eine Mobilitiät der Schraube bedeutet leider: raus.

Mit   beeindruckenden  Bildern  präsentierte  Dr.   Georgia  Trimpou   (Frankfurt)  ihr     Thema „Periimplantäre Weichgewebs-Ästhetik durch sofortige Formgebung“.

Sie betonte die Wichtigkeit der naturidentischen Form des Implantates bzw. der Prothetik. Diese muss vom Techniker durch eine geeignete Form des Abutments umgesetzt werden. Das Abutment sollte direkt nach Implantation mit anschließender Befestigung der provisorischen Krone eingesetzt werden. Es erscheint simpel, jedoch einleuchtend: Ist die Zahnform in der Durchtrittszone  gegeben, erledigt sich die Weichgewebsästhetik durch Heilung.

image43 Monate später wird das Provisorium dann entfernt und die definitive Krone eingesetzt. Probleme, die ein solches Vorgehen unmöglich machen können sind zum einen Frontzahntraumen, bei denen aus logistischen Gründen keine Sofortimplantation möglich ist. Hier kann man sich mit einer Polymerisation des frakturierten Zahnes am Nachbahrzahn behelfen, wodurch die Weichgewebsmorphologie erhalten werden kann. Die Implantation kann  so problemlos am nächsten Tag geschehen.

Zum anderen kann eine fehlende Primärstabilität des Implantates ein Abweichen vom oben genannten Protokoll erfordern. Hier hilft ein individueller Sulkusformer, der statt der provisorischen Krone eingesetzt wird und eine Gefahr der Überlastung in der Phase der Osseointegration verhindert.

Prof. Dr. Florian Beuer (Berlin) startete ungewöhnlicherweise ohne Augenkontakt zum Publikum. Denn er hatte sich eine VR-Brille vor die Augen geschnallt. Ungewöhnlich war auch sein Einstieg  in den Vortrag: „Leider ist im Netzwerk bei der Netzwerkanfrage ein Problem aufgetreten. So  etwas hatte ich befürchtet.“ Nach kurzer, technisch bedingter Zwangspause ging es aber dann tatsächlich los und die Zuhörer bestiegen zusammen mit Captain Beuer ein virtuelles Cockpit. Was er präsentierte, war, wenn auch noch im Prototypenstadium befindlich, die Zukunft der Vermittlung zahnmedizinischen Wissens. Denn über verschiedene Stellschrauben und Bedienoberflächen konnte hier jeglicher Workflow mit Abläufen, praktischen Tipps, Beispielbildern und Hinweisen zu verwendeten Materialien abgerufen werden. Sicherlich ein hochinteressantes Zukunftskonzept sowohl für die universitäre Lehre als auch für den Praxisalltag, in dem man sich auf diese Weise schnell und praktisch über neue Behandlungskonzepte informieren könnte. Sicherlich ein enormer Fortschritt im Vergleich zu verwackelten, unscharfen Youtube-Videos, denen man oftmals nur wenig außer der Beweihräucherung des dargestellten Behandlungsergebnisses entnehmen kann.

image5Märchen und Mythen zum Einfluss des Weichgewebes auf die periimplantäre Stabilität gibt es viele. Priv.-Doz. Dr. Dr. Schlee (Forchheim) präsentierte Fakten.

„Dicke Gingiva“ ist gleich „gute Gingiva“, diese Meinung ist beispielsweise recht weit verbreitet. In Wahrheit gibt es jedoch nur schlechte Evidenz für die tatsächlich ideale Dicke der Gingiva. Fest steht: Ein dünner Morphotyp bedeutet in der Praxis oftmals flachere Taschen, dafür sind Rezessionen häufiger festzustellen. Auch ist ein Abbau des Knochens wahrscheinlicher, da automatisch eine Ausbildung der biologischen Breite um das Implantat herum statt findet. Dafür tendiert eine zu dicke Gingiva zu einer Etablierung von Pseudotaschen.

Durch ein Bindegewebstransplantat ist es problemlos möglich, das Gewebe zu verdicken und so dem Risiko eines Knochenabbaus entgegenzutreten.

Die Take Home Message lautet: Eine adäquate Dicke der Gingiva zwischen 2 und 3 mm führt zu einer besseren Ästhetik mit ausgeprägteren Papillen, weniger Rezessionen und weniger Knochenabbau. Die Fixation des Gewebes auf dem Periost spielt zudem eine entscheidende Rolle für ein gutes Behandlungsergebnis.

Der zweite Kongresstag

Der zweite Kongresstag lockte wieder zahlreiche Studenten in das Frankfurter Congress Center. Der Fokus lag in diesem Jahr auf dem Thema „Famulatur“ und die gezeigten Vorträge lösten bei einem Blick in den tristen Herbsthimmel sofortiges Fernweh aus.

image1Bei Auslandseinsätzen geht es jedoch um mehr als Bohren unter der Sonne. Denn Zahnärzte, die sich in Krisengebieten unentgeltlich für die Gesundheit der Ärmsten einsetzen, werden durch mediale Berichterstattungen in der Bevölkerung äußerst positiv wahrgenommen. Somit tun sie letztlich nicht nur in den Krisengebieten vor Ort etwas gutes, sondern auch für den gesamten Berufsstand. Nicht immer muss es für eine Famulatur übrigens an das andere Ende des  Kontinents gehen. Auch in Europa ist es über das ERASMUS-Programm möglich, Erfahrung im Ausland zu sammeln.

Verschiedene Vortragende stellten über den Tag verteilt Hilfsorganisationen vor, die beispielsweise Famulaturen in Afrika, Indien oder Brasilien organisieren und dazu eindrückliche Bilder präsentierten. Einig waren sich alle darin, dass eine gewisse Berufserfahrung von Vorteil ist. Als blutiger Anfänger direkt aus der Uniklinik wird man sich bei bis zu 70 Patienten in der Stunde wohl etwas schwer tun. Doch Unerfahrene sollten sich davon nicht abschrecken lassen. Bei vielen Projekten gibt es dennoch Möglichkeiten zur Mitarbeit. Rechtzeitig darum kümmern sollte man sich aber: Eine Vorlaufzeit von mindestens 3 Monaten sollte für eine Famulatur eingeplant werden.

Low Budget für den Start in die Selbstständigkeit? Kein Problem, sagt Prof. Dr. Christoph Benz auf dem parallel zur Hauptveranstaltung laufenden Zukunftskongress.

Doch was spricht in Zeiten der wachsenden Anzahl angestellter Zahnärzte überhaupt noch für die Selbstständigkeit? Eine Umfrage, bei der 70% der Befragten Studierende darstellten, ergab: der eigene Chef sein und sich selbst verwirklichen zu können sind neben der besseren Verdienstmöglichkeit die Hauptgründe.

Für die Anstellung hingegen sprechen die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, weniger bürokratischer Aufwand und ein geringeres, finanzielles Risiko.

image6Und das ist bei durchschnittlich 326.000€ für die Übernahme einer Einzelpraxis und 484.000€ für eine Neugründung tatsächlich nicht zu unterschätzen. Bei solchen Summen kommt tatsächlich die Frage auf, inwiefern junge Zahnärzte unter einer solchen Schuldenlast zu „Geldgeiern“ werden (müssen), um ihre Kredite bedienen zu können…

Wie sieht die alltägliche Zahnmedizin in Zukunft überhaupt aus? Der Bedarf an präventiven Behandlungskonzepten und parodontalen Therapien wird steigen. Genauso wird aufgrund des demographischen Wandels jedoch auch der Anteil pflegebedürftiger Menschen mit Behandlungsbedarf steigen. Gleichzeitig wird durch steigendes Bewusstsein für die Mundhygiene und die geringe Geburtenrate eine Kinderzahnarztpraxis wohl nicht gerade von  jungen Patientinnen und Patienten überrannt werden.

Hat man sich einmal für den Kauf oder die Gründung einer Praxis entschieden, müssen diverse Investitionen getätigt werden. Naivität kann einen hier teuer zu stehen kommen. Denn Sätze seitens der Dentaldepots wie „Das ist aber vorgeschrieben“ oder „Mit so einer Einrichtung werden sie Privatpatienten abschrecken“ sollte man sicherlich nicht nur einmal hinterfragen. Und es muss ja auch nicht immer Einrichtung sein, die speziell für Praxisräumlichkeiten entworfen und konzipiert wurde. Es soll tatsächlich „High-End“-Behandlungszimmer geben, in denen sich das ein oder andere IKEA-Möbelstück finden lässt …

image3Oftmals ist bei Neueröffnungen der sogenannte „Hochzeitsfeier-Effekt“ zu beobachten: opulenter, teurer, zeigen was man hat und kann. Erklärtes Ziel: Die Kollegen neidisch machen. Wenn die vor Neid gelb im Gesicht werden, kann man sich beruhigt auf die Schulter klopfen und mit Recht sagen: „Ich habe es geschafft, ich habe den tollsten Stuhl in der Straße!“ Das war es dann aber meistens auch schon, denn die Patientenfrequenz steigt durch teure Anschaffungen nicht zwangsläufig.

Der gut gemeinte Tipp des Redners lautet: „Nicht das ganze Geld in den Anfang pulvern, ein zu hoher Kredit macht unentspannt. Nach wenigen Jahren sind die ersten Ersatzteile sowieso nicht mehr lieferbar. Und bei der Digitalisierung einer Praxis sollten die laufenden Kosten nicht unterschätzt werden.“

Von der jungen Generation der Zahnärzte ist also kreatives Planen und selbstbewusster Umgang mit der Dentalindustrie gefordert. Und wenn es finanziell einmal eng werden sollte, kann man es ja immer noch mit Mark Twain halten: „Von jetzt an werde ich nur so viel ausgeben, wie ich einnehme, selbst wenn ich mir dafür Geld borgen muss.“

Oliver Rohkamm
Oliver Rohkamm
Immer auf der Suche nach neuen zahnmedizinischen Innovationen. Hat ein Faible für alles, was mit dem digitalen Workflow in der Zahnmedizin zu tun hat. Zusätzlich interessiert er sich für Computer und alles was zwei Räder hat. In der Freizeit ist er vor allem auf dem Motorrad, Rennrad oder Mountainbike zu finden.
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