Die Zeiten ändern sich, und damit auch die Art Geschäfte zu machen. Wirtschaftlich orientierte, unternehmerisch geführte Zahnarztpraxen, sei es in Form von eigenen Niederlassungen oder als Franchise-Ketten, buhlen in unterschiedlichsten Ländern um Patienten. Gutes Beispiel ist die zur Jacobs Holding gehörende Colosseum Dental, die von Zürich aus über 300 Zahnarztpraxen in acht Ländern wie etwa Deutschland, Großbritannien, Frankreich oder Italien betreibt.
Verdrängungsmarkt Spanien
Spricht man von Zahnarztpraxen und -ketten, so ist Spanien zweifelsohne der am härtesten umkämpfte Dentalmarkt in Europa. Allein die Zahl der praktizierenden Odontologen hat sich von 17‘538 zur Jahrtausendwende auf 39‘709 im Jahr 2020 mehr als verdoppelt, die Bevölkerung hingegen ist in dieser Zeitspanne gerade mal um 8% gewachsen ist. Grund für diese Schwemme an Studienabgängen ist die Liberalisierung des Bildungswesens und das Aufkommen von privaten Universitäten. Eine weitere Eigenheit des spanischen Dentalmarktes ist die Tatsache, dass das staatliche Gesundheitssystem zahnmedizinische Behandlungen nur in den wenigsten Fällen abdeckt, je nach Region wird etwa die Dentalhygiene bei Schwangeren oder die Extraktionen vom Staat übernommen. Für alles andere müssen die Patienten selbst aufkommen, gerade aus diesem Grund sind Ratenzahlungen gerade bei kostspieligen Behandlungen gang und gebe.
Fußballstars und Lockvögel
Der portugiesische Fußballspieler Luis Figo, der einstige Barça-Star Andrés Iniesta oder der frühere Kapitän der spanischen Nationalmannschaft und Fußballweltmeister WM Iker Casillas, sie alle waren in allabendlichen TV-Spots und auf breitgestreuten Plakatwänden zu sehen, wie sie für „Dentix“ warben. Die Zahnarztkette trat mit der Botschaft auf, dass sie deshalb so tiefe Preise anbieten können, weil es sich eben nicht um eine Franchisekette handeln würde, sondern weil alle Praxen einem einzigen Unternehmen respektive Inhaber gehören würden. Doch man muss weder Zahnarzt sein noch Wirtschaft studiert haben, um zu erkennen, dass das Dentix-Angebot von Zahnimplantaten ab 222€ ein klassisches Lockvogelangebot gewesen ist. Doch die massiven Marketinginvestitionen und die aggressive Werbekampagne zeigten Wirkung: Der Zahnarzt Ángel Lorenzo, der einst in einem Madrider Außenbezirk seine erste Praxis eröffnete, wurde mit den Jahren Herr über rund 180 Zahnarztpraxen in ganz Spanien, und ungefähr nochmals so vielen in Ländern wie Mexiko, Italien oder Großbritannien. Will man Medienberichten glauben, so betrug der Umsatz von Dentix in den Spitzenjahren rund 480 Millionen Euro, Ángel Lorenzo sammelte derweil Luxuskarossen.
Tiefer Fall
Es gehört zum unternehmerischen Einmaleins, dass bei tiefen Preisen die Gewinnmarge sehr gering ist und dass kaum finanzielle Reserven aufgebaut werden können. In nur fünf Jahren von einer einfachen Zahnarztpraxis zu einem international tätigen Dentalunternehmen, das ist ohne Millioneninvestitionen nicht möglich. Dieses Geld kam unter anderem von einem internationalen Investmentfonds Namens „KKR“, welcher mit der Zeit rund 160 Millionen Euro in Dentix investiert hatte. Doch dann, Anfang des vergangenen Jahres, wollten die KKR-Investoren kein weiteres Geld mehr in das Geschäftsmodell Dentix einschießen und drehten nach gescheiterten Verhandlungen mit Ángel Lorenzo den Geldhahn zu. So meldete im Oktober des vergangenen Jahres die Zahnarztkette Konkurs an.
Geschädigte: Mitarbeiter und Patienten
Anfang 3. Dezember 2020 publizierte das offizielle, spanische Amtsblatt die Eröffnung des Konkursverfahrens gegenüber Dentix, 3‘000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen seither auf der Straße. Gleich doppelt betroffen von dieser Pleite sind hunderte, wenn nicht tausende von Patienten, die mitten in einer zahnmedizinischen respektive implantologischen Behandlungen stecken, jetzt aber niemanden haben, der diese zu ende führt. Eine Behandlung, die sie – meistens sogar auf Vermittlung der Dentix-Patientenberater – extern finanziert haben. Konkret heißt dies: In dem Moment, in welchem der Patient den Kredit unterschreibt, überweist der Kreditgeber den vollen Betrag an die Zahnarztpraxis und zieht dann bei den Gläubigern den geschuldeten Betrag in monatlichen Quoten ein. Kein Wunder gehen die Verbraucherorganisationen in Spanien auf die Barrikaden, zumal die Dentix-Patienten weiter ihre Raten abzahlen müssen, auch wenn die Behandlungen nicht mehr weitergeführt werden.
Hamburger-Restaurant oder Zahnarztpraxis?
Die Werbebotschaft, dass es sich bei Dentix um kein Franchise-Unternehmen handle und alle Zahnarztpraxen im Eigenbesitz seien, war bewusst gewählt und zielte auf das Konkurrenzunternehmen „Vitaldent“ ab. 1989 ließ sich ein 28-jähriger Zahntechniker aus Uruguay in Spanien nieder und eröffnete kurz darauf in Madrid seine erste Zahnarztpraxis. Seine Idee bestand darin, preisgünstige Behandlungen an hochfrequentierten Standorten anzubieten. Damit sind wir wieder beim unternehmerischen Einmaleins der geringen Gewinnmargen und der Vorgabe sich laufend vergrößern zu müssen, um zu überleben. Um dieses rasche Wachstum zu ermöglichen setzte der umtriebige Südamerikaner auf das Modell der Unternehmensfranchisen. Dieser war in den 1990er-Jahren in Spanien besonders populär: entweder man investierte sein Geld in Immobilien oder in eine Franchise – egal ob ein Hamburgerrestaurant, ein PC-Shop oder eben eine Vitaldent-Praxis. Auch wenn man von der Odontologie keine Ahnung hatte, man musste nur einen Zahnarzt als Geschäftsführer engagieren, und schon konnte man loslegen.
Tiefer Fall – zum Zweiten
Je nach Quelle zählten zwischen 300 und 450 Praxen im In- und Ausland zum neuen Vitaldent-Netzwerk. Auch den Sprung über den Ozean scheuten Ernesto Colman und seine Managerriege nicht und eröffneten in New York die erste US-Niederlassung. Zwei Jahre später, in der Juli-Ausgabe von 2006, betitelte das renommierte US-Magazin „Times“ den Dentalunternehmer Colman als „McDentist“. Zehn Jahre lief alles gut, bis am 17. Februar 2016 spanische Staatsanwaltschaft zuschlug. Die Policia Nacional verhaftete Ernesto Colman und die Führungsriege von Vitaldent mit dem Vorwurf der Steuerhinterziehung und der Geldwäsche. Behandlungen, die in bar bezahlt wurden, liefen an der offiziellen Kasse vorbei, Teile der monatlichen Franchisegebühren mussten ebenfalls am Fiskus vorbei in Euroscheinen abgeliefert werden. Gemäß Anklageschrift waren es 17,2 Millionen Euro, die alleine von den 146 eigenen Vitaldent-Praxen so in die Taschen von Besitzer und Manager flossen. Es verwundert deshalb nicht, dass bei der Razzia der spanischen Polizei mehrere Anwesen, 36 Luxuslimousinen und ein Flugzeug beschlagnahmt worden sind.
Glück im Unglück?
Auch die Patienten von Vitaldent standen damals vor einem Scherbenhaufen, hatten aber insofern Glück, dass neue Investoren das Dentalunternehmen übernahmen. Heutzutage findet man in jeder größeren Ortschaft in Spanien eine Vitaldent-Praxis, auch wenn die Gesamtzahl lange nicht mehr mit jener einst vergleichbar sind. Und obwohl die Zahnarztkette auch in Sachen Werbeauftritt bescheiden geworden ist, so ist die Botschaft die gleiche geblieben: Implantologiebehandlung für weniger als 1€ pro Tag. Gleich geblieben ist auch das Kleingedruckte: Kostet die Behandlung 1‘599€, beläuft sich die Gesamtsumme der Ratenzahlung auf 1‘801,94€. Schließlich wollen ja nicht nur die Investoren von Vitaldent Geld verdienen, sondern auch die Kreditbank „Cetelem España“, welche eine Tochter der französischen Großbank „BNP Parisbas“ ist.