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Spurassistenten der Endodontie

Der vollautomatische Navigationsassistent für die Wurzelkanalbehandlung? Was zunächst nach „Robo-Doc“ oder Behandlung per Fernsteuerung klingt, wird die Endodontie einen deutlichen Schritt nach vorn befördern auf dem Weg zur nachhaltig zuverlässigen Aufbereitung. Dr. Barbara Müller, Senoir Head of Endodontics bei COLTENE, zeigt anhand aktueller Patientenfälle, wie digitale Endo-Assistenz-Systeme künftig den Behandlungsalltag revolutionieren werden.

Ein intelligenter „Spurhalte-Assistent“, wie man ihn aus dem Strassenverkehr kennt, war streng genommen die seit Langem überfällige, logische Fortsetzung der technischen Weiterentwicklung von Apex Locator & Co. Während in der Hochleistungschirurgie mittlerweile der Arzt häufig der Maschine assistiert, ist es umgekehrt nur konsequent, wenn bei eingeschränktem Sichtfeld und unklarer Anatomie der digitale Co-Pilot den Endo-Experten auf seinem Weg zum Apex unterstützt.

Abb. 2: Präoperative Röntgenaufnahme
Zahn 37, Fall 1

Bei der Behandlung eines stark gekrümmten, S-förmigen Wurzelkanals kam dem italienischen Endo-Spezialist Prof. Dr. Eugenio Pedullà vor geraumer Zeit eine Idee, die so einfach wie bestechend war: Die Vision des autonomen Fahrens würde auch in der zahnärztlichen Praxis die Kanalaufbereitung deutlich sicherer und effizienter machen: Spurhalteassistenz, Staumeldungen oder Tempomat, allesamt nützliche Feature der modernen Mobilitätsentwicklung, liessen sich ebenso gut für seine Endobehandlungen einsetzen. In Zusammenarbeit mit dem internationalen Dentalspezialisten COLTENE entwickelte er daher den entsprechenden Prototyp. Auf das seit 2020 erhältliche Gerät war Eugenio so stolz, dass er dem neuartigen Endomotor sogar seinen persönlichen Spitznamen weitergab: Der „bezaubernde Jeni“ findet seither selbstständig den Weg durch den Wurzelkanal und passt die Feilenbewegung den Gegebenheiten auf dem jeweiligen Streckenabschnitt innerhalb von Millisekunden an (Abb. 1).

Abb. 3: Postoperatives Röntgenbild

Von koronal bis apikal beständig voran
Wer die innovative Arbeitshilfe das erste Mal bei der Aufbereitung einsetzen möchte, muss sich zunächst etwas umgewöhnen. Traditionell werden flexible NiTi-Feilen in tupfenden Auf- und Abbewegungen schrittweise in den Kanal eingeführt. Durch taktiles Feedback erspürt der Zahnarzt bisher den Kurvenverlauf und vermeidet dadurch Verlagerungen oder Verblockungen, die zum Feilenbruch führen könnten. Mit dem neuartigen Endomotor arbeitet der Anwender beständig mit leichtem Druck voran, während der digitale Co-Pilot selbstständig über den Bewegungsablauf entscheidet. Komplexe Algorithmen steuern die variablen Feilenbewegungen. Dabei liegt die Reaktionszeit des Computers im Millisekundenbereich und damit deutlich unter der des Menschen. Rotationsbewegung, Drehzahl und Drehmoment werden bereits angepasst, bevor der Anwender überhaupt merkt, dass er eventuell zu viel Druck ausübt.
Gerade der versierte Endo-Experte fragt sich beim Praxiseinsatz, ob er der Assistenz des Endomotors vertrauen kann. Ein vollautomatischer Endomotor ist jedoch präziser als das herkömmliche Winkelstück allein. Da braucht es anfangs etwas Überwindung, beständig „draufzuhalten“ und sich darauf zu verlassen, dass der Co-Pilot die Rotationsgeschwindigkeit noch vor der eigenen Wahrnehmung reduziert oder die Feile rückwärts rotieren lässt, wenn das System Widerstände erkennt. Mit dem klassischen Spülprotokoll sind neuartige Endomotoren wie der Jeni übrigens auch bestens vertraut: Ein akustisches Signal meldet, wann und wie oft zwischen den Feilenwechseln gespült werden sollte. Dieses konsequente Voranarbeiten kann letztlich viel Zeit bei der Aufbereitung einsparen, besonders bei komplexen Anatomien. Bei solch komplizierten Kanalverläufen können Endo-Spezialisten zehn Minuten bis zu einer halben Stunde mit dem Jeni herausholen, Zeit, die wichtig für ausgiebiges Spülen und Desinfizieren ist.

Anatomiegetreu ausformen
Vor allem bei stark gekrümmten Kanälen wird der Nutzen moderner Endo-Assistenz-Systeme schnell deutlich, wie auch die beiden folgenden Patientenfälle illustrieren. In Fall 1 wurde bei einem 50-jährigen Patienten nach DVT eine apikale Parodontitis in Zahn 37 diagnostiziert (Abb. 2). Die mesialen Kanaleingänge waren schwer zu identifizieren, da sich gut adaptiertes, zahnfarbenes Komposit darin befand. Auf dem Touchscreen des Jeni wählte der behandelnde Endo-Spezialist Dr. Thomas Rieger aus Memmingen in Deutschland die entsprechende Sequenz flexibler NiTi-Feilen. Voreingestellt sind in der Software die HyFlex CM bzw. EDM sowie die MicroMega OneCurve oder 2Shape aus dem Hause COLTENE. Beim neuesten Update wurden ausserdem auch die HyFlex und MicroMega 30/.07 Remover Feilen implementiert, die für eine spürbare Erleichterung in der endodontischen Revisionsbehandlung sorgen. Die neuartigen Remover Feilen passen jeweils perfekt zu den etablierten Feilensystemen und entfernen insuffiziente Guttaperchafüllungen sowie ähnliche in die Jahre gekommene endodontische Versorgungen schnell und zuverlässig. Im Doctor’s Choice-Programm kann der Nutzer ausserdem noch bis zu acht weitere Feilensysteme seiner Wahl hinterlegen, wenn er mit dem jeweiligen Bewegungsprotokoll vertraut ist. Im vorliegenden Fall wurde der passende Zugang mit einem Orifice Opener gelegt. Die extreme Krümmung im apikalen Drittel stellte eine besondere Herausforderung bei der Aufbereitung dar. Folgende Sequenz kam daher im Anschluss zum Einsatz: Auf die HyFlex EDM 10/.05 folgte die 20/.05, die Universalfeile 25/ HyFlex EDM OneFile erledigte dann den Grossteil der Arbeit in den mesialen und distalen Kanälen. Den Abschluss bildete die Sequenz 40/.05, 50/.03 und in den distalen Kanälen zusätzlich die 60/.02 für die finale Ausformung. Dabei ermöglichte der Jeni eine rasche Aufbereitung trotz des stark gekrümmten Kanalverlaufs. Jede Feile arbeitete sich quasi „wie von selbst“ auf Arbeitslänge vor. Die natürliche Kanalausformung wird im postoperativen Röntgenbild deutlich sichtbar (Abb. 3).

Häufiges Spülen bei effizientem Materialabtrag
Eine Revisionsbehandlung von Dr. Silviu Bondari aus Beuzeville/Frankreich zeigt ausserdem, dass mit dem neuartigen Endomotor auch Retreatments schnell und einfach durchführbar sind. Bei einem 30-jährigen Patienten wurde ebenfalls aufgrund einer apikalen Parodontitis in Zahn 36 die Entfernung der insuffizienten Guttaperchafüllung notwendig (Abb. 4). Mit einer Geschwindigkeit von 1.000 U/min. bei kontinuierlicher Rotation wurde eine filigrane MicroMega Removerfeile über zwei Drittel des Kanals eingeführt. Anschliessend wurde der Rest der distalen Wurzel mit einer HyFlex EDM OneFile im Winkelstück bei 500 U/min behandelt. In den mesialen Kanälen kamen HyFlex EDM Feilen der Grösse 20/05 zum Einsatz. Die Drehzahl betrug ebenfalls 500 U/min. Für die finale Kanalausformung kam dann die 25/~ HyFlex EDM OneFile in den mesialen Kanälen zum Einsatz. Im distalen Kanal wurde eine EDM-Feile Grösse 40 mit Taper 04 verwendet. Das Ergebnis auf dem Röntgenbild verspricht eine langlebigere Obturation als die Erstbehandlung fünf Jahre zuvor (Abb. 5, 6). Gerade beim effizienten Abtrag von Material, egal ob Dentin oder altes Füllungsmaterial einer Revisionsbehandlungen, empfiehlt sich in der Endodontie gründliches Spülen. Verbleibt zu viel Material im Kanal, kann die Feile verblocken und schlimmsten Falles sogar brechen. Oft unterschätzen selbst Endo-Experten bei der Arbeitsgeschwindigkeit moderner NiTi-Feilen, wie viel Debris sich bereits im Kanal angesammelt hat. Auch hierbei hilft ein akustisches Signal, das automatisch vermeldet, wenn eine Spülung sinnvoll wäre.

Fazit
Grundsätzlich beschleunigen digitale Endo-Assistenz-Systeme durch die vollautomatische Kontrolle der Drehbewegung die Aufbereitung und machen sie deutlich sicherer und zuverlässiger. Vor allem bei unregelmässigen Kanalanatomien hilft der Co-Pilot künftig bei der natürlichen Kanalausformung. Dabei erinnert er gleichzeitig pflichtbewusst ans passende Spülprotokoll.

www.coltene.com

Oliver Rohkamm
Oliver Rohkamm
Immer auf der Suche nach neuen zahnmedizinischen Innovationen. Hat ein Faible für alles, was mit dem digitalen Workflow in der Zahnmedizin zu tun hat. Zusätzlich interessiert er sich für Computer und alles was zwei Räder hat. In der Freizeit ist er vor allem auf dem Motorrad, Rennrad oder Mountainbike zu finden.
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