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Von Prinzen, Feen und Prothesen

State of the Art der Prothetik im unvergleichlichen Ambiente des Schlosses Leopoldskron in Salzburg 

Von Robert Simon

Nein, Reinhold Zauchner ist nicht der Prinz von Leopoldskron, und das ist vielleicht auch gut so. Denn Vertreibungen, Plünderungen und selbst das Engagement Max Reinhardts für eine aufwendige Freiluftbühne, die nach der Erstaufführung im moorigen Boden des neobarocken Parks versank, lassen die Vergangenheit des Schlosses in nicht ganz makellosem Lichte erscheinen. Ganz im Gegensatz zu den Preziosen von Candulor, die – obwohl aus Kunststoff – zu den begehrtesten Prothesenzahn-Juwelen für den Prothetiker zählen.

Aber es gibt in dieser Geschichte auch eine gute Fee – hübsch, gescheit und hochkompetent in Sachen digitaler Prothetik führte sie in Gestalt von Frau DDr. Patricia Steinmaßl das Auditorium durch die Candulor Prothetik Night und toppte ihre Moderation zum Abschluss mit ihrem bemerkenswerten Vortrag über den aktuellen Stand der digital hergestellten Totalprothese. So begnügten sich Reinhold Zauchner gemeinsam mit Candulor Managing Director Claudia Schenkel Thiel mit ihrer Aufgabe als Gastgeber. Das können sie sehr gut, das abendliche Get Together war kulinarisch und stimmungsmäßig ein Volltreffer. Und wer weiß, ob da nicht der eine oder andere Candulor-Zahn am verdauungsmäßigen Aufbereiten der Snacks beteiligt war.

Von links: ZTM Jürg Stuck, Martin Suchert, Motiv-Coach Angela Büche, ZTM Stefan M. Roozen, Frau DDr. Patricia-Anca Steinmaßl, Prof. Dr. Bernd L. van der Heyd, Reinhold Zauchner und Candulor Managing Director Claudia Schenkel Thiel

Die Vorträge

Namhafte Referenten sorgten für spannende Information rund um die Prothetik – analog und digital. Und es wurde deutlich, welchen Stellenwert digitale Verfahren heute besitzen – umso mehr darf aber die menschliche Komponente nicht fehlen: „Wir stellen den Patienten in den Mittelpunkt unseres Handelns – und doch haben wir oft kaum Zugang zu ihm“, stellte ZTM Jürg Stuck in seinem Vortrag `Zahnersatz und die orale Heimat´ mahnend in den Raum. Diese Diskrepanz versucht Stuck aufzulösen, indem er verstärkt auf die Wahrnehmungsphysiologie seiner Patienten eingeht. Die „Orale Heimat“ wird vorab mit physischen Hilfsmitteln definiert, wodurch die Möglichkeiten und Grenzen der physikalischen Ausdehnung des Zahnersatzes erfasst werden. Großen Wert legt Stuck auf die Phonetikanalyse: An Hand vieler Beispiele zeigt er sein Vorgehen zur Positionsbestimmung über die Sprechmotorik.

ZTM Jürg Stuck: „Wir stellen den Patienten in den Mittelpunkt unseres Handelns – und doch haben wir oft kaum Zugang zu ihm“

Wie sehr die interdisziplinäre Zusammenarbeit und totalprothetisches Know How von Bedeutung sind, wurde im Teamvortrag von ZTM Stefan M. Roozen und Prof. Dr. Bernd L. van der Heyd deutlich. Auch sie halten die Phonetik für unverzichtbar – die logopädische Aufstellung ist wesentliches Element zur Berücksichtigung der individuellen Physiognomie. Naturident steht vor der perfekten Ästhetik, den Prothesenlook will ohnehin niemand. Darüber, so Roozen, stehe aber die Funktion, auf die er sehr detailliert einging. Hier hob er auch den Candulor NFC+ Zahn hervor: „Ein perfekter Konfektionszahn, der alles mitbringt, was sich der Zahntechniker wünscht.“

Teamvortrag von ZTM Stefan M. Roozen und Prof. Dr. Bernd L. van der Heyd

`Chancen und Grenzen digitaler Fertigung´- Martin Suchert hat diesen Titel für seinen Vortrag sehr bewusst gewählt, denn die Grenzen digitaler Verfahren sind nicht immer eindeutig und stellen den Zahntechniker oft vor schwierige Entscheidungen. Er erklärte die Unterschiede analoger und digitaler Vorgehensweise und arbeitete die Vor- und Nachteile in der digitalen Prozesskette heraus: Der Prozess-Sicherheit, Reproduzierbarkeit und Präzision stehen hohe Anschaffungskosten, laufende Lizenz- und Upgradekosten und das Neuerlernen digitaler Prozesse gegenüber.

Die modellfreie Fertigung ist heute durch den Einsatz des Intraoral-Scanners möglich, aber viele haben Probleme, ohne Modelle zu arbeiten – auch der Zahnarzt. Zitat Suchert: „…hier hast du die Krone, das Modell liegt am Behandlungsstuhl!“ Abhilfe kann der 3D-Drucker schaffen. Die Preisunterschiede sind zwar enorm und die Materialauswahl ist derzeit noch problematisch, aber Modelle, Schienen und Bohrschablonen sind problemlos und präzise möglich.

Der Virtuelle Artikulator funktioniert bereits heute sehr gut, benötigt aber auch korrekte individuelle Daten, wenn man mehr als die Genauigkeit eines Mittelwert-Artikulators will.

Martin Suchert im digitalen Labor

Die Gesamtarbeitszeiten unterscheiden sich (noch) nicht wesentlich durch die langen Maschinenarbeitszeiten, jedoch ist der manuelle Aufwand erheblich verkürzt. Nur hier können die derzeit noch vorhandenen Mehrkosten wieder hereingeholt werden, die sich ungefähr auf das Dreifache analoger Fertigung belaufen.

Frau DDr. Patricia-Anca Steinmaßl (Universitätszahnklinik Innsbruck) berichtete über den aktuellen Forschungsstand zur digitalen Totalprothese. Für dieses Projekt, das sie leitet, hat sie 2015 den ODV-Wissenschaftspreis des ZIV erhalten.

Sie verwies sie auf das zunehmende Problem der Zahnlosigkeit älterer und sozial niedriger Schichten. Zu ihrer Versorgung stellt sich die Frage, welche Option die bessere ist – herausnehmbar oder festsitzend. Die Zahnärzteschaft neigt zu der festsitzenden implantatgetragenen Lösung. Wie sieht es aber aus, wenn man an alte und kognitiv eingeschränkte Patienten mit oft problematischer Hygiene sowie begrenzten finanziellen Mitteln denkt? Frau Dr. Steinmaßls Gleichnis dazu: „Wenn die schleimhautgetragene Prothese ein Ostblock-Trabi ist und die festsitzende Keramiklösung ein schnittiger Porsche, dann frage ich Sie, ob Sie wirklich Ihre 87jährige demente Oma in einen Porsche setzen wollen?“

Im Rahmen der Ersten Tiroler Mundgesundheituntersuchung wurden 126 Patienten mit 192 Prothesen untersucht – mit einem bedrückenden Ergebnis: Schlechter hygienischer und mechanischer Zustand sowie unzureichender Halt. Das mag damit zusammenzuhängen, dass der Weg zum Zahnarzt beschwerlich ist und fünf Termine für die Herstellung der Prothese erforderlich sind. Die digitale Vollprothese kann hier Abhilfe schaffen, da der Workflow auf drei prinzipielle Schritte verkürzt wird:

  • Einscannen der Abformungen, virtuelle Modellzuordnung
  • Virtuelles Design
  • Automatisierte Fertigung

Die digitalen Verfahren reduzieren die Sitzungen auf vier (Wieland), drei (AvaDent, Whole You) oder sogar zwei bei dem Baltic Denture System. Wenn auch die Gesamtbehandlungsdauer sich erheblich reduziert – von 170 min. konventionell auf bis zu 90 min. digital –  so korreliert diese Verkürzung nicht mit der Reduktion der Sitzungen: Das 4-Schritt-System von Wieland erzielt mit 100 min. das zweitbeste Ergebnis, während das 2-Schritt-System Baltic 110 min. benötigt.

Warum ist das so: Beim digitalen Protokoll muss der gleiche Informationsumfang erarbeitet werden, lediglich die Behandlungsschritte werden in weniger Sitzungen zusammengefasst. Das bedeutet auch, dass die Reduktion auf zwei Schritte nur vordergründig eine Erleichterung verspricht. Wenn in einer einzigen Sitzung Funktionsabformung, Bestimmung der vertikalen Relation, Bissnahme und Visualisierung des Endergebnisses erfolgen sollen, benötigt der Behandler ein hohes Maß an Routine – bei einer Prothese alle paar Wochen wird er vermutlich scheitern.  Ebenso ergeben sich Sitzungen von bis zu 90 Minuten, was älteren Patienten kaum zugemutet werden kann.

Materialvorteile

Durch das industriell vorgefertigte Prothesenmaterial entfällt die Polymerisations-Schrumpfung und man erhält eine genauere Passung sowie eine höhere Materialdichte. Das bedeutet aber nicht automatisch geringere Mindestschichtstärken. Nur das Ivoclar-Material ist bei der Festigkeit dem Heißpolymerisat überlegen, und zwar deutlich. Die anderen Materialien liegen ebenso deutlich darunter. Auch werden verbesserte Oberflächeneigenschaften mit weniger Poren erzielt, wodurch eine reduzierte Bakterienanlagerung zu erwarten ist. Die angenommene geringere MMA-Monomerfreisetzung konnte jedoch nicht erreicht werden.

Frau DDr. Patricia-Anca Steinmaßl berichtete über den aktuellen Forschungsstand zur digitalen Totalprothese

Mythos Motivation

Zum Abschluss dirigierte die geborene Schweizerin und Motiv-Coach Angela Büche das Auditorium durch die oft verschlungenen Wege des motivationsbedingten Verhaltens. Das ist nicht immer logisch und auch altersbedingt unterschiedlich – verzwickt, das Ganze.

Als langjährige Dirigentin und Chellistin hat sie aber das Rüstzeug dazu, uns schlauer zu machen, damit wir zukünftig nichts mehr vergeigen. Und, ich darf das zumindest für mich sagen, da war so manches Lehrreiche dabei und wiederum bei näherer Betrachtung durchaus doch logisch – verzwickt, das Ganze.

 

Motiv-Coach Angela Büche und die oft verschlungenen Wege des motivationsbedingten Verhaltens

Hier noch einige Bilder von der gelungen Veranstaltung:

 

 

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