Vor drei Jahrzehnten hat Kurt Jäger in Aarburg seine erste Praxis eröffnet, heute zählt das Praxis-Team St. Margarethen sechs Standorte. Das Dental Journal unterhielt sich mit Prof. Dr. med. dent. Kurt Jäger anlässlich dieses runden Geburtstages.
Sie waren Ende der 1980er Jahre als Assistent respektive Oberassistent am Zentrum für Zahnmedizin in Basel tätig. Was hat Sie damals bewogen sich selbständig zu machen?
Zusammen mit dem Werkstoffwissenschaftler Prof. Dr. Jakob Wirz bestand damals wissenschaftlich und klinisch ziemlich viel Power, Neugier und Potenz für gute und vielseitige Projekte. Diese Chance habe ich genutzt und mir vorerst eigentlich das Ziel der akademischen Karriere gesetzt. Nur: Die Anzahl Ordinariate in meinem Fachgebiet in der Schweiz ist beschränkt, und ich war ja nicht der einzige im Rennen. Im damaligen Praxis-Team St. Margarethen in Binningen erreichte 1989 Dr. Klaus Manner das Pensionsalter und ich konnte seinen Platz übernehmen. Meinem Wunsch entsprechend eröffneten wir in Aarburg, nahe an meinem Wohnort, eine zweite Praxis. Der Entscheid ist mir damals nicht leicht gefallen, aber rückblickend war er sehr gut! Ich konnte ja trotzdem noch akademische Karriere machen, wenn auch nicht als Klinikdirektor!
Was hatten Sie für Vorstellungen, als Sie sich selbständig machten?
Ich hatte mir immer vorgenommen prophylaxeorientiert eine breite Palette moderner zahnmedizinischer Behandlungskonzepte anzubieten. Meine damaligen Partner Dr. Gerhard Zimmerli (Oralchirurgie und Parodontologie), Dr. Alfons Stöcklin (Allgemeinzahnarzt und Kieferorthopäde) und ich (Prothetik und Kaufunktionsstörungen) hatten uns dementsprechend spezialisiert. Zusätzlich war ich ja noch mit einem Pensum von 20-40% an der Universität Basel tätig, die dortigen Erkenntnisse haben wir dann auch in unserer Praxis aufnehmen und umsetzen können.
Hat sich Ihre Vision heute geändert?
Eher ergänzt. Nach meinem MBA-Studium formuliere ich die Vision für meine Praxen ziemlich klar: Gemeinsam an die Spitze! Die Werte des Praxis-Team St. Margarethen unterscheide ich in externe Aspekte wie etwa Gastfreundschaft, Qualität und Innovation sowie in interne Werte wie Offenheit, Teamarbeit und Leidenschaft.
Dreissig Jahre sind eine lange Zeit. Wie hat sich die Zahnmedizin Ihrer Meinung in diesen drei Jahrzehnten verändert?
Zuerst: Was hat sich nicht verändert? Wir behandeln immer noch Patienten, die meistens nicht wahnsinnig gerne zu uns kommen. Die Behandlung geschieht mittels unseres Gesprächs mit diesen, unserer Diagnose und sowie der entsprechenden (manuellen) Therapie. Ich habe damals ohne Mundschutz und Handschuhe angefangen, mit dem Doriotgestänge sowie einem nicht wassergekühlten Winkelstück. Doch der deutlichste Quantensprung ist der technologische Wandel!
Sie denken dabei an die Digitalisierung?
Ja. Heute sind wir im Zeitalter von Digital Dentistry und Smart-Clinic, wo das zahnärztliche Equipment inklusive Patientenadministration miteinander elektronisch verknüpft sind. Dabei sind die Preise für die zahnärztlichen Leistungen nicht wesentlich gestiegen- im Gegenteil: Eine Vollkeramikkrone kann man heute unter 1‘500 Franken inklusive Allem herstellen. Wir arbeiten heute mit einem anderen Zeitmanagement! Alles muss rationeller gehen!
Welche drei Zeichen der Zeit würden Sie besonders herausstreichen?
Erstens: Der technologische Wandel inklusive Implantologie. Zweitens: Die Wirkung der Prophylaxe in der Schweiz, wo junge Schweizerinnen und Schweizer heute praktisch kariesfrei sind. Dies hat auch eine demographisch bedingte Verschiebung der notwendigen Zahnbehandlung ins tertiäre Alter zur Folge. Drittens: Die Bedrohung der Einzelpraxis durch grosse Praxisketten und -zentren mit entsprechendem Investitionskapital. Man darf nicht vergessen: Wer seine Praxis auf dem neuesten Stand der Digitalisierung halten will, braucht viel Kapital!
Welches sind Ihre besonders positiven Erfahrungen in den dreissig Jahren? Und aus welchen Fehlern haben Sie gelernt?
Für mich habe ich den schönsten Beruf, den es gibt. Ich bin ein akademischer Handwerker! Ich hatte Gelegenheit ihn zu erlernen und auszuüben. Und um mit den Worten von Edith Piaf zu sprechen: Je ne regrette rien! Ich bereue nichts! Fehler sind dazu da, Erkenntnisse zu gewinnen, um es nachher besser zu machen. Mir kommt kein grober Fehler in den Sinn, aber doch viele kleine, verbesserungsfähige Einzelheiten.
Was würden Sie jungen Zahnärzten raten, die mit dem Gedanken spielen sich selbständig zu machen?
Angst ist ein schlechter Ratgeber. Besonders wichtig erscheint mir, den Standort der Praxis wohlüberlegt auszusuchen, Partnerschaften einzugehen und sich klar zu spezialisieren. Man soll bescheiden starten und später klug investieren. Heute ist auch eine «Work-live-Balance» wichtig, diese kann man geradenmit Praxisgemeinschaften realisieren.
Das Praxis-Team St. Margarethen besteht mittlerweile aus sechs Praxen. Was ist das Konzept respektive die Strategie?
Bald aus sieben… Mitte 2020 wird zusätzlich eine Praxisübernahme in Schöftland dazukommen. Nur: Ich bin ja nicht der Besitzer der Kette. Jede Praxis ist autonom. Die Dachgesellschaft sorgt für den Namen, das Image, das Marketing, den Internetauftritt und wir versuchen dadurch, Skaleneffekte auszunützen. Wir helfen einander gegenseitig mit Rat und Tat aus. Für mich persönlich suche ich noch Praxen in Aargauer Zentrumsgemeinden. Meine Strategie besteht darin, die grössere Praxis in Aarburg als Kompetenz- und Ansprechzentrum der kleineren Praxen in der Umgebung wie etwa in Reinach oder Schöftland zu etablieren. Und ich denke, es sollten noch etwa zwei Praxen zum System dazukommen.
Sie setzen also auf eine Art Netzwerk- Expansion?
Ja, gerade deshalb ist diese Wachstumsstrategie ja ein Erfolgsmodell. Der Zahnarzt – oder heute besser gesagt: die Zahnärztin – kann sich auf die Haupttätigkeit konzentrieren, vom Administrativen soll sie so weit als möglich entlastet werden. Das bietet unser Modell an. Frau ist nicht auf sich allein gestellt. Für mich selbst öffnet sich eine interessante Perspektive ins Pensionsalter. Ich kann diese Praxen begleiten, sowohl beratend fachlich als auch administrativ. Und: Ich freue mich sehr auf diese Aufgaben!
Lassen Sie uns etwas persönlich werden: In welcher zahnmedizinischen Disziplin steckt Ihr Herzblut?
Es war schon immer und ist es auch weiterhin die Behandlung von Kaufunktionsstörungen. Ich habe über zwanzig Jahre die einschlägige Sprechstunde am Zentrum für Zahnmedizin geleitet und bin heute Konsiliarius am cfc-craniofaciales Zentrum der Hirslandenklinik Aarau. Daneben betreue ich in meiner Praxis viele Patienten in dieser Symptomatik.
Sie haben ein MBA gemacht? Wie wichtig sind heute die nicht-medizinischen Aspekte in einer Zahnarztpraxis?
Sehr wichtig! Um zu überleben muss der Zahnarzt heute unternehmerisches Geschick haben. Und dies wird immer wichtiger. Finanzwissen, HR-Kenntnisse, Budget- und Investitionsrechnungen usw. sind bedeutungsvoll! Vor kurzem habe ich in einem Referat ausgerechnet, was die Digitalisierung einer Praxis kostet. Eine grosse Summe! Und vor allem: Der Lebenszyklus dieser Investitionen wie Server, PC’s, Digitalröntgengeräte, Scanner oder Laser ist kurz im Vergleich zur klassischen Dentaleinrichtung von früher. Leider werden unsere Studierenden nicht in Betriebswirtschaftslehre ausgebildet.
Schauen wird in die Glaskugel und in die Zukunft. Wie wird das Praxis-Team St. Margarethen in dreissig Jahren aussehen?
Ha? Wenn ich das wüsste! Es ist mir, ehrlich gesagt, nicht so enorm wichtig. Ich will meinen Job jetzt gut machen. Oder mit Taore zu sprechen: Morgen weht der Wind von morgen! Den Zahnärzten und Zahnärztinnen in meinen Praxen sage ich immer, sie können «ihre» Praxis jederzeit kaufen, wenn sie dies möchten. Es bringt ja nichts, wenn jemand zwei Häuser weiter einen eigenen Laden aufmacht und alle Patienten mitnimmt, oder? Ich hoffe daher eben, dass das Praxis-Team nicht von einer grossen Kette übernommen werden kann respektive muss, sondern dass die Dachgesellschaft von allen Zahnärzten gemeinsam mit der Netzwerk-Idee von heute weitergeführt werden wird.
Und was wird Ihrer Meinung mit der Zahnmedizin in Zukunft geschehen?
Was die Zahnmedizin anbelangt, wird sich die Technologisierung und Automatisierung weiter fortsetzen. Die Smartclinic ist Tatsache und Normalfall. Die klassische Einzelpraxis existiert in der heutigen Form nicht mehr. Die Zahnärzte sind entweder zu Interessenpraxen zusammengeschlossen oder in einer Kette organisiert, die von Hedgefonds extern gemanagt werden. Walk-In, Wunschzahnmedizin, Esthetic Dentistry und Spezialisierungen prägen das Bild, die Termine werden nur noch online vorgenommen. Karies und Parodontopathien sind besiegt. Gerodontologie prägt den Praxisalltag. Viel Aufwand um das vollbezahnte Gebiss in den letzten Lebensjahren vor dem Zerfall zu retten.
Und Sie, in dreissig Jahren?
Da bin ich dann über 90 Jahre alt. Und mit meinem zwar kariesfreien Gebiss auch so ein Patient der Alterszahnmedizin. Und ich bin sicher, dass ich auch dann vom Praxis-Team gut betreut werde!