Wirft man einen Blick auf die Bevölkerungspyramide, so kann man erkennen, dass inzwischen über 20% der Bevölkerung über 65 Jahre alt ist. Bis zum Jahre 2030 ist mit einem Anstieg auf knapp 30% zu rechnen. Wir werden immer älter, aber leider bedeutet dies nicht automatisch, dass wir dadurch auch immer gesünder werden. Der Pflegebedarf in Folge kontinuierlich an. Angesichts dieser demographischen Entwicklung sollten die optimale zahnärztliche Prävention und Betreuung im Alter thematisiert werden.
Es sollte uns bewusst sein, dass mit dem Altern sowohl physiologische als auch kognitiven Veränderungen einhergehen, die nicht immer als pathologisch einzustufen sind. Sieht man die evolutionäre Entwicklung der Zähne an, so scheinen sie nicht für eine lange Funktionsperiode geschaffen zu sein, wie es schon jetzt und auch in Zukunft erforderlich wäre. Gerade deshalb sollten die Herausforderungen der zahnärztlichen Prophylaxe und Behandlung, im Umgang mit älteren Patienten, bewusst sein. Doch was bedeutet „ältere Patienten“? Die Altersdefinitionen der WHO unterscheidet zwischen älteren Menschen (65-74 Jahre), alte Menschen (75-89 Jahre) sowie Hochbetagte (> 90 Jahre).
Altersbedingte orale Veränderungen und Erkrankungen von Zähnen und Zahnhalteapparat
Altersbedingt ist eine makroskopische Mesialwanderung zu erkennen und Attritionen nehmen zu. Zudem steigt mit zunehmendem Alter die Einlagerung von Fluoriden und Spurenelementen im Schmelz stetig an. Dies bedeutet zwar einerseits, dass die Resistenz gegenüber einem reduzierten pH-Wert des Speichels ansteigt, gleichzeitig aber auch, dass durch den hohen Mineralisationsgrad im Alter die Zähne ihre Flexibilität verlieren. Der Schmelz kann dadurch spröde und frakturanfällig werden. Auch der Anteil des organischen Bestandteils im Dentin nimmt im Alter ab, während die anorganischen Bestandteile zunehmen. Dies geschieht einerseits durch Mineralisation des Dentins, als auch durch Bildung von Tertiärdentin bei physikalischen und chemischen Reizen.
Im höheren Lebensalter kann beobachtet werden, dass häufiger Teile der Wurzeloberfläche freiliegen und es dadurch vermehrt zu Wurzelkaries kommen kann. Durch die Bildung von Tertiärdentin und den Alterungsprozess der Pulpazellen wird der Raum für die Pulpa immer geringer. Die Höhe der Pulpa und die Anzahl der funktionsfähigen Zellen können bis ins Alter von 60, 70 Jahren um die Hälfte abnehmen. Dem einher gehen eine Reduktion der Reaktions- und Regenerationsfähigkeit und der Sensibilität der Zähne.
Der DMF-T der 65- bis 74-Jährigen lag bei der deutschen Mundgesundheitsstudie 2014 bei 17,7. Das bedeutet, dass etwas über die Hälfte der Zähne von Karies oder den Folgen betroffen sind und durchschnittlich jeder Zweite dieser Altersgruppe einen Behandlungsbedarf aufweist. Im Vergleich dazu sind die Werte der 35- bis 44-Jährigen in den letzten Jahren in Deutschland kontinuierlich gesunken und liegen derzeit bei einem DMF-T von 11,2. Erstmalig wurde in dieser Studie auch die Altersgruppe der 75- bis 100-Jährigen miteingeschlossen. Hier lag der DMF-T bei 21,6. Dies zeigt die Verschiebung der Kariesprävalenz ins hohe Alter. Die Werte in Deutschland sind sicher mit denen in Österreich vergleichbar, wobei vergleichbare Studien in Österreich meist nur für Kinder bis 12 Jahren durchgeführt werden.
Im Durchschnitt fehlen Senioren im Alter von 65 bis 74 Jahren in Deutschland 11 Zähne, wobei 12,4% komplett zahnlos sind, bei den Personen im Alter von 75 bis 100 Jahren sind circa ein Drittel zahnlos. Dies bedeutet aber auch, dass noch etwa zwei Drittel eigene Zähne haben, deren Erhalt eine hohe Herausforderung darstellt.
Auch wenn man eine Verbesserung der Lebensqualität mit Zahnersatz, ob festsitzend, kombiniert oder herausnehmbar erreichen kann, bleibt trotz Rehabilitation eine Beeinträchtigung der mundbezogenen Lebensqualität bestehen. Personen mit Zahnersatz haben in der Regel eine schlechtere Lebensqualität als Personen mit primär gesunden Zähnen. Dies unterstreicht die Bedeutung des Erhalts der Zahngesundheit und der zahnärztlichen Prophylaxe im Alter.
Der Alveolarknochen unterliegt den gleichen Alterungsvorgängen wie unser Skelett, denn die Aktivität der knochenbildenden Zellen nimmt ab. Dabei reduziert sich aber weniger das Volumen als die Dichte. Rezessionen, verbunden mit einer scheinbaren Elongation der Zähne im hohen Alter, scheinen aber kein Zeichen von Altersvorgängen zu sein, sondern ein kumulierter Effekt auf vorangegangene entzündliche und destruktive parodontale Erkrankungen. Die Prävalenz von parodontalen Erkrankungen bei deutschen Senioren liegt dennoch bei 75% und einem durchschnittlichen Attachmentverlust von 4mm.
Durch parodontalen Erkrankungen assoziierte Veränderungen wie Mundgeruch, Lockerung der Zähne bis hin zum Zahnverlust, Rezessionen die Ästhetik und Sprache beeinflussen können, sowie der Einfluss auf andere chronische und entzündliche Erkrankungen, haben einen enormen Einfluss auf Allgemeingesundheit und Lebensqualität. So kann mit fachgerechter Prophylaxe und Therapie die Lebensqualität verbessert werden.
Von nicht zu unterschätzender Bedeutung – der Speichel
Auch die Speicheldrüsen sind dem Alterungsprozess unterworfen. Mit steigendem Alter sind eine Fibrosierung, Verfettung und generellen Rückbildung zu beobachten. Der einhergehende Funktionsverlust bei der Speichelproduktion macht sich physiologisch aber erst ab 80 Jahren bemerkbar. Eine reduzierte Speichelmenge, die bei älteren Personen zu beobachten ist, liegt weniger an der altersbedingten Veränderung als an anderen Einflussfaktoren wie Trinkverhalten, Medikamente und Allgemeinerkrankungen. Auch Konsistenz und Geschmack von Speisen spielen für die Speichelbildung eine Rolle.
Mundschleimhaut und Zunge
Bei älteren Menschen kann die Versorgung mit herausnehmbarem Zahnersatz zu Entzündungen der prothesendeckenden Schleimhaut führen. Diese ist meist aufgrund einer schlechtsitzenden Prothese Trauma induziert oder durch die altersbedingt nachlassende Sensorik und Motorik bei der täglichen Mundpflege bedingt. Ein nachlassendes Immunsystem, aber auch Mundtrockenheit mit damit verbunden herabgesetzten oralen Abwehr, können Gründe für die steigende Prävalenz von Mundschleimhauterkrankungen mit zunehmendem Alter sein.
Durch die zunehmende Fibrosierung der Schleimhaut, die Reduktion des elastischen Bindegewebes sowie der Durchblutung, ist im höheren Alter die Wundheilung leicht eingeschränkt. Ebenso wird eine Haarzunge respektive Landkartenzunge ebenfalls vermehrt festgestellt, aber auch die Anfälligkeit für Tumore und Präkanzerosen steigt mit zunehmendem Alter stark an.
Daten aus der USA zeigen, dass ab den 70. Lebensjahr bei Männern 6 von 1000 und bei den Frauen 3 von 1000 einen oralen malignen Tumor aufwiesen. Im Durchschnitt überleben nur 60% der Betroffenen nach der Diagnose die folgenden 5 Jahre. Für die Bevölkerung in Deutschland und Österreich liegen leider nur unzureichend vergleichbaren Studien oder Daten zur Prävalenz von Mundschleimhauterkrankungen im Alter vor.