Gastbeitrag von Dr. Thomas Müller, Schaffhausen, Schweiz
In der Digitalisierung – ich bevorzuge den Ausdruck «Digitale Transformation» – ergeben sich mehrere Handlungsfelder für die Praxis. Konkret sind dies…
- Mindset: Wir setzen Technologien ein, welche Daten liefern, die wir als Faktengrundlage zur Optimierung unserer Prozesse brauchen. Die Anschaffung und Nutzung dieser Technologien ist in der Praxisstrategie verankert. Chancen/Risiken, Stolpersteine, Stärken und Schwächen in Einklang mit dem eingeschlagenen Weg werden erkannt und angegangen.
- Kultur: Gefordert ist eine Praxiskultur, welche die Vernetzung von Kompetenzen, rasche Implementierung von Innovationen hervorbringt und einen hohen Patientenfokus aufweist.
- Wertewandel: Durch die Digitalisierung sind wir von einem tiefgreifenden Wertewandel betroffen. Offene Kommunikation, ein hohes Maß an Transparenz, Partizipation, Authentizität und Empathie sind von Mitarbeitenden und Patienten gleichermaßen gefordert.
Gibt es besonders geeignete Technologien und Tools, um die Transformation und den Wertewandel zu unterstützen?
In der Folge ordne ich einige Tools ein, die mir in meiner eigenen Privat-Praxis besonders bedeutende Dienste leisten. Diese Auflistung orientiert sich an einer typischen Prozesslandkarte. Sie erhebt weder den Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Wissenschaftlichkeit, sie basiert lediglich in unserer guten Erfahrung.
Tool 1) Wissen, wie es geht: Management- und Wissensplattform
Auf der praxiseigenen Plattform (Q.wiki) erarbeiten wir gemeinsam alltagsrelevantes Wissen, verändern und konservieren es und machen es allen Mitarbeitenden zugänglich. Dieses Wissen steht auch bei Abwesenheit eines Mitarbeitenden für alle anderen zur Verfügung. Workflows erarbeiten wir interaktiv respektive kollaborativ als gemeinsames Regelwerk respektive Handbuch. Dieses erfreut sich einer äußerst hohen Akzeptanz, weil das Wissen dort zur Verfügung steht, wo es gebraucht wird. Als Nebeneffekt erfüllt Q.wiki sämtliche Anforderungen an ein Qualitätsmanagement. Dokumentation, Nachvollziehbarkeit, Versionierung sind einige Aspekte, welche digital und automatisiert ablaufen und daher das QM essenziell entlasten. Fazit: Dieses Tool hat bei uns wohl den größten Impact in Bezug auf eine New-Work-Kultur und es entspricht vielen Forderungen an den Transformationsprozess. Zudem schaffen wir mit den dokumentierten und strukturierten Prozessen die Basis für spätere Automatisierung.
Tool 2) Wissen, um wen es geht: Praxisverwaltungssoftware (PVS)
Im Bereich «Wissensmanagement» hat die Praxisverwaltungs-Software einen ebenbürtigen Stellenwert wie Q.wiki. Sie ist die Zentrale in Bezug auf alle patientenrelevanten Informationen. Hier werden Stammdaten, Zahnstatus, Parostatus und die elektronische Krankengeschichte geführt. Aber auch die Agenda, die Tariferfassung, Abrechnung und das Debitorenwesen sind IT-unterstützt. Praxisverwaltungs-Softwares (PVS) sind schon lange nicht mehr aus dem Alltag der Zahnarztpraxis wegzudenken. Unsere PVS dient zudem als patientenspezifisches Kommunikationstool, zum Beispiel beim Pendenzenwesen, oder als wichtige Schaltstelle zu anderen Softwares. Über VDDS-Schnittstellen (https://www.vdds.de/schnittstellen ) können direkt aus dem Patientendossier Spezialprogramme eröffnet werden. Diese empfangen die spezifisch notwendigen (Stamm)-Daten. Als äußerst effizient hat sich die detaillierte und oft «klickeinfache» Dokumentation der Krankengeschichte mittels prozessspezifischer Formulare erwiesen. Hier werden die klinischen Standard-Prozeduren (SOP) direkt in der Krankenakte hinterlegt. Fazit: Das standardisierte Erfassen der Krankengeschichte und aller Patientendaten wird uns künftig die notwendige Basis zu einer personalisierten Zahnmedizin liefern.
Tool 3) 1001 Verbrauchsartikel verwalten: Materialwesen
Damit wir unsere zahnärztlichen Leistungen ausführen können, greifen wir auf zirka tausend Artikel und Verbrauchsmaterial zurück. Deren Überwachung ohne IT-Unterstützung ist schier unmöglich. Es darf niemals ein Artikel fehlen, das Ablaufdatum muss stets überwacht werden, Fehlbestellungen sollen vermieden werden. Mich überzeugen speziell die Tools, welche die hocheffiziente strichcode-basierte Erfassung aller Materialbedürfnisse, die Lieferantenverwaltung, sowie die Eingangs- und Lagerkontrolle ermöglichen. Fazit: Das Materialwesen wird vereinfacht, transparent gemacht und ist so effizient zu führen.
Tool 4) Hält den Laden sauber: Wartung und Hygiene
Welches Gerät muss wann gewartet werden? Wie oft wurde es bereits repariert? Wie hoch sind die bisherigen Reparaturkosten? Sollten wir bald den Ersatz ins Auge fassen? Welche periodischen Arbeiten in der Praxis stehen an, etwa die Röntgen-Konstanzprüfungen? Diese Fragen können wir heute einfach über das Standard-Programm Outlook lösen. Die Funktionalitäten Terminverwaltung, Dokumenten-Sammlung und Historie lassen sich hier sehr gut abbilden. Der wöchentliche Wartungsplan stellt dabei das sichtbare Führungsinstrument in der Wartung dar. Neu und als QSS-Stand-Alone-Lösung oder in Ergänzung zum bestehenden QM-System ist die komplett digital geführte App von medmonitor.swiss (https://medmonitor.swiss ) zu erwähnen. Alle hygienerelevanten QS-Standard-Prozeduren sind sehr übersichtlich mittels Tablet-PC begleitet und bisweilen mit Bild und Unterschrift perfekt dokumentiert. Sie können zentral gesteuert und jederzeit praxisspezifisch angepasst werden. Fazit: Mit diesen Tools erfüllen wir regulatorische Pflichten auf möglichst sinnvolle und digitale Weise.
Tool 5) Das Kommen und Gehen in der Praxis: Personalplanung
Bis zu einer gewissen Praxisgröße lassen sich Urlaub, Fortbildungsabsenzen und Arbeitseinteilungen gut mit einer Excel-Liste planen, doch ab zehn Personen wir dies jedoch immer unübersichtlicher und komplexer. Um eine einfache Übersicht von der Jahres-Planung bis zur Tages-Funktions-Einteilung zu erhalten, brauche ich eine spezialisierte Software. Diese muss zudem auch noch die Arbeitszeiterfassung der Mitarbeiter integrieren. Fazit: Unsere Mitarbeiter sind die wichtigste, aber auch teuerste Ressource der Praxis. Es lohnt sich daher ungemein, diese mit Übersicht und gezielt einzusetzen.
Tool 6) Die Bilder-Krake: Zentrale Bilddatenbank
Diese fragliche Software soll offene Schnittstellen zu den verschiedensten Geräten wie Intraoralkamera, Kleinröntgen-Sensor, Speicherfolie, digitales OPG, oder Model-Scanner haben. Byzznxt ist per VDDS-Schnittstelle mit der Praxisverwaltungssoftware verbunden und steuert alle gängigen digitalen Praxisgeräte über eine Plattform. Fazit: Kein langes Zusammentragen verschiedener Bilddaten des gleichen Patienten, sondern übersichtliche Darstellung an einem Ort.
Tool 7) Jeder Schnappschuss an seinem Platz: Fotografie
Digitale Fotodokumentation soll so einfach wie möglich sein, typische Abläufe (Fotostatus) sollen bereits vordefiniert, Belichtung und Brennweite automatisch eingestellt werden. Aufnahmen mit Spiegeln sollen automatisch zurückgespiegelt und direkt in der Bildverwaltungssoftware beim entsprechenden Patienten abgelegt werden. Mit einer handelsüblichen Digitalkamera ist das in der Regel nicht möglich, «Dentaleyepad» hingegen vereint alles in einem Gerät und ist für mich daher ein absolutes Workflow-Highlight! Fazit: Wenn sich ein Tool so strickt nach den Prozessen einer Praxis ausrichtet und sich zudem fließend in die IT-Umgebung integrieren lässt, dann wird es zum wichtigen Alltags-Instrument.
Tool 8) Künstliche Intelligenz im Vormarsch: Röntgendiagnostik mit Unterstützung durch KI
Wer ein DVT hat, der kennt die Aufwendungen zur Erstellung von Röntgenberichten. Neben ausführlichen Beschreibungen zu jedem einzelnen Zahn müssen Spezialauswertungen wie Berichte zur Implantat- und Weisheitszahn-Diagnostik erstellt werden. Die Unterstützung durch die Künstliche Intelligenz ist dort hochwillkommen, denn sie spart immens Zeit. Wenn das Programm dann auch noch automatisches Segmentieren des Kiefers beherrscht, dient das maßgeblich dem räumlichen Verständnis des Behandlers. Das Programm Diagnocat stellt im 3D-Diagnostik-Bereich aus meiner Sicht einen neuen Meilenstein dar. Hochkomplexe Berichte sind innert Minuten verfügbar und lassen den direkten Informations-Austausch mit der zuweisenden Praxis zu. Nicht nur im 3D-Segment ist KI zur Röntgenbeurteilung im Vormarsch, auch im Bereich von Einzelröntgen und OPTs setzen sich die digitalen Helfer durch. So ermöglicht neben Diagnocat auch DentalXrai die KI-gestützte Auswertung von 2D-Bildern. Unsere Behandler schätzen es, die Befunde sofort zu demonstrieren und die Patientenaufklärung damit zu untermauern. Fazit: Diese «Second-Opinion» jederzeit inhouse zu haben, bringt die Röntgen-Diagnostik auf einen neuen Level.
Tool 9) Der e-Patient ist «educated, empowered and engaged»: Patienten-Information
Sind alle Befunde erstellt, Fotografien gemacht und alle Röntgenaufnahmen erfasst, dienen diese als Ausgangslage für die Diagnose sowie für die entsprechende Planung und die Besprechung. Für die Patienten-Kommunikation eignen sich Tablet-gestützte Anwendungen besonders, weil sie örtlich flexibel und interaktiv benutzt werden können. Neben patientenspezifischen Bildern jeglicher Art kann die Patientenaufklärung mit perfekt aufbereiteten Grafiken und Kurzfilmen und dem Zeichen-Pen angereichert werden. Ein so erstelltes Dokument speichern wir als PDF-Dokument in der Praxisverwaltungssoftware, drucken es aus oder versenden es per Mail. Fazit: Die Patienten schätzen diese Art der Aufklärung, weil sie verständlich ist und damit die Therapie-Entscheidung erleichtert. Infoskop kann dies liefern.
Tool 10) Komfort, Schnelligkeit und Präzision: Digitale Abformung
Nichtmehr wegzudenken sind digitale Abformungen. Was ich an ihnen besonders schätze: Kein würgreizender Abdruck, kein langes Warten auf das Resultat, keine neue Anfertigung wegen einer Blase, keine Desinfektion des Abdruckes, kein Kurierdienst… dafür Bearbeitungsmöglichkeit innert Minuten! So machen Abformungen für den Patienten und das Praxispersonal Spaß! Fazit: Prozesse zu verkürzen, ohne Abstrich bei der Qualität zu machen ist ein wichtiges Gebot der Stunde.
Tool 11) Verschmelzung von virtueller und «echter» Realität: Navigierte Implantologie
Präzis gesetzt Implantate vereinfachen das prothetische Prozedere und verbessern die ästhetische Erfolgsquote. Hier geht es nicht um eine Gegenüberstellung von schablonennavigierter oder dynamisch navigierter Implantologie. Beide haben ihre Vor- und Nachteile. Bei uns im Alltag hat sich die dynamische Navigation durchgesetzt. Mittels simultanem Instrumenten-Tracking via Kamera-«Satelliten» verschmilzt die virtuelle Planung mit der klinischen Operations-Realität. Fazit: In der Anwendung dieser Technologie etwa mit xGuide frage ich mich oft: Wie lange dauert es noch, bis ich zur Unterstützung bei der Implantation einen Roboter steuere?
Abschließende Gedanken
Als Praxisinhaber muss ich mich darauf fokussieren, dass die verwendeten Programme und Geräte nahtlos verknüpft werden können. Nur so nutzen wir die möglichen Chancen wirklich voll aus. In der Zukunft steigen die Ansprüche an personalisierte Medizin und effiziente Praxisführung. Je strukturierter wir unsere Daten erfassen, desto besser werden wir diesen Ansprüchen gerecht. Die aufgelisteten Tools tragen alle ihren Beitrag dazu bei, patienten- beziehungsweise prozessorientiert Daten zu akquirieren und so Schritt für Schritt zu transformieren.