Die Anamnese als Schlüssel zum Erfolg
von Gregor Ley
Vom 16.-17. fand in der Steiermark das diesjährige Herbstsymposium statt. In den Räumlichkeiten des Schlosses Seggau diskutierten renommierte Vortragende das Thema „Individueller Patient – besondere Bedürfnisse“ mit den zahlreichen Teilnehmern.
Den Beginn der Vortragsreihe am Freitag macht Dr. André Wannemüller aus Bochum. Er zeigte auf, welche Faktoren bei Patienten zu einer Angst oder gar Phobie vor dem Zahnarzt führen können. Auslöser sind beispielsweise ein übersteigertes Schamgefühl oder die Katastrophisierung der Behandlungsereignisse. Die Phobie vor dem Zahnarzt entsteht durchschnittlich im Alter von 12 Jahren, meist hervorgerufen durch Konditionierung in vergangenen Behandlungssituationen. Frauen sind mehr als doppelt so häufig betroffen wie Männer. Die Folgen einer solchen Phobie sind oftmals – eigentlich vermeidbare – Zahnschäden. Was kann man tun, um solchen Patienten die Angst zu nehmen? Helfen können kurze Wartezeiten, das Angebot einer indirekten Kommunikationsplattform über Fragebögen oder Praxishomepage und ein mit dem Patienten abgesprochenes Behandlungskonzept. Hierbei ist besonders der „informed consent“ von großer Bedeutung. Der Zahnarzt sollte über die Behandlungsschritte aufklären, Pausen absprechen und somit vermeiden, dass der Patient ein Gefühl des Kontrollverlustes erfährt. Außerdem hilft es manchen Menschen, wenn sie eine Begleitperson als „Sicherheitsanker“ mit in die Behandlung nehmen dürfen. Und den wenigsten Zuhörern dürfte bewusst gewesen sein: Der „Zahnarztgeruch“ in der Ordination ist der bedeutendste Stimulus für das Auslösen der Angst. Ein anderer, angenehmerer Geruch kann also schon entscheidend helfen, um den Patienten eine Wohlfühlatmosphäre zu bieten.
Dr. Matthias Holly aus Wien stellte anschließend Leitlinien zur Herdsanierung vor. Seine Kriterien für eine erfolgreiche endodontische Therapie sind folgende: Neben einer genauen Diagnose sind ein optimaler Zugang zum Kanalsystem und aseptische Arbeitsweise unter Kofferdam für einen Erfolg unabdingbar. Der anschließenden mechanischen Reinigung und chemischen Aufbereitung der Wurzelkanäle folgen ein dichter Verschluss der Kanäle sowie die definitive postendodontische Versorgung. Die Diagnoseentscheidung zwischen einer reversiblen und irreversiblen Endo wurde ausführlich diskutiert. Bis heute scheint es aber keine Möglichkeit zu geben, um hier eine sichere Antwort finden zu können.
Eine ausführliche Anamnese ist der Grundstein für eine erfolgreiche Therapie. Prof. Dr. Michael Bornstein erläuterte, worauf zu achten ist und welches Spannungsfeld zwischen Zahnmediziner und Hausarzt sich daraus ergibt. Die Gestaltung des Anamnese-Bogens, bei dem die Krankengeschichte des Patienten im Vordergrund steht, ist von entscheidender Bedeutung, um Misserfolgen vorzubeugen.Die sichere Erkennung von Vorerkrankungen wie einer HIV- oder Hepatitis-Infektion tragen zum Schutz von BehandlerIn und Assistentinnen bei. 5 kardinale, orale Veränderungen bei HIV/AIDS helfen bei der Diagnosestellung, gerade vor dem Hintergrund der wieder ansteigenden Häufigkeit von HIV. Das Absetzen von Antikoagulantien und Thrombozytenaggregationshemmern stellt laut einer Leitlinie der DGZMK ein unnötiges Risiko für den Patienten dar und wird nicht empfohlen. Die Frage der Dosis stellt sich bei der Bisphosphonat-Medikation. Während eine hohe Dosis eine Kontraindikation für Implantologie darstellt, ist das Risiko für Osteonekrosen bei niedriger Dosis statistisch nicht signifikant erhöht. Eine Aufklärung des Patienten vor der Implantation über mögliche Risiken ist jedoch unerlässlich. Dr. Bornstein stand unserem Redakteur Georg Glockner für zwei kurze Fragen zum Vortrag zur Verfügung:
Der erste Kongresstag endete mit dem packenden Vortrag „Ethik in der Zahnmedizin“ des perfekten Rhetorikers Prof. Dr. Giovanni Maio. Er forderte, dass die Zahnmedizin nicht nur als Handwerk, sondern als medizinisches Fach verstanden und wahrgenommen werden soll. Er unterstrich mit seiner Aussage: „Eine gute Anamnese führt zu guten Ergebnissen“ die Einschätzung seines Kollegen Prof. Bornstein. Die Zahnmedizin ist als Handwerk in einem größeren Kontext eingebettet, in der die ärztliche Entscheidung für die individuell beste Therapie der entscheidende Faktor ist. Prof. Maio möchte die Werte der Medizin wie Sorgfältigkeit, Geduld und Reflektiertheit hochgehalten wissen, die seiner Meinung nach im Praxisalltag von anderen Aspekten wie Schnelligkeit und Prozessoptimierung oftmals verdrängt werden.
Die Vortragsreihe am Samstag eröffnete Prof. Dr. Martin Schimmel, der auf die besonderen Bedürfnisse älterer Implantatpatienten einging. Wichtig sind hierbei vor allen Dingen eine erfolgreiche Osseointegration in prothetisch korrekter Position, ein geringes Komplikationsrisiko und eine minimal traumatische OP. Bei den prothetischen Anforderungen sind eine möglichst kurze Zeit bis zur Belastung der Implantate und eine einfache Rückbaubarkeit der Versorgung zu nennen. Einen besonderen Stellenwert in Bezug auf ältere Implantatpatienten hat die Nachsorge. Sekundär- und Tertiärprophylaxe sind enorm wichtig, gerade weil ältere Patienten manuell oftmals eingeschränkt sind und Pflegepersonal selten für eine korrekte Prophylaxe geschult ist.
Patienten mit besonderen Bedürfnissen waren auch das Thema des Vortrags von Prof. Dr. Katrin Bekes. Sie zeigte Möglichkeiten und Grenzen der Behandlung behinderter Kinder auf und hielt fest: „Behinderte Menschen sind so unterschiedlich wie gesunde Menschen.“ 630.00 Behinderte zwischen 16 und 64 Jahren, die seit länger als einem halben Jahr aufgrund ihrer Behinderung Einschränkungen im Alltag erfahren müssen, leben alleine in Österreich. In der Anamnese muss auf Besonderheiten wie Lebensumstände, Entscheidungsfähigkeit und weitere Erkrankungen eingegangen werden. Bei Befundung und Diagnose steht die Kooperationsfähigkeit im Vordergrund. Prophylaxemaßnahmen und Präventivmaßnahmen in risikoabhängigen Abständen sind für den therapeutsichen Erfolg äußerst wichtig.
Der Zahnarzt Dr. Georg Schiller und der Anästhesist Dr. Andreas Schöpfer sprachen über das Für und Wider verschiedener Sedierungsmethoden. Lachgas ist für den Zahnarzt offensichtlich eine relativ leicht zu handhabende Methode, um, gerade bei Kindern, eine leichte Sedierung und eine für beide Seiten angenehmere Behandlung zu ermöglichen. Der Anästhesist wies jedoch auf einige Einschränkungen hin: Die Patienten müssten kooperativ sein, die Patientenauswahl sei dadurch sehr eingeschränkt. Zudem muss bedacht werden, dass der Zahnarzt ein professionelles Atemwegs- und Notfallsmanagment beherrschen müsse – letztendlich sollte hier eine ehrliche Selbsteinschätzung des Behandlers stattfinden. Augenzwinkernd schloss er mit den Worten: „Man schläft besser mit einem Anästhesisten!“
„Prävention und frühes Erkennen von Notfällen in der zahnärztlichen Praxis“ wurde im finalen Vortrag diskutiert. Dr. Wolfgang Kaiblinger, der neben seiner zahnärztlichen Tätigkeit auch Rettungseinsätze als Notarzt fährt, klärte auf: Durchschnittlich kommt es zu einem Notfall pro Jahr und Ordination. Um mit Notfällen wie Synkopen, Aspirationen oder Hyperventilationen richtig umgehen zu können, ist eine regelmäßige Teamschulung von Nöten. Hierbei wird eine genaue Verteilung der Aufgaben innerhalb des Teams besprochen und trainiert.
Unersetzliches Notfall-Equipment in der Ordination sind ein Pulsoximeter, ein elektrisches Blutdruckmessgerät, ein Larynxtubus und ein Defibrillator. Die Dokumentation von Schulungen und die Überprüfungen der Notfallausrüstung sollten in jeder Ordination stattfinden. Um Notfällen präventiv entgegenzuwirken, empfiehlt der Vortragende vor allen Dingen eine ausführliche Anamnese mit Medikamentenliste und Arztbrief. Bei 65+ Patienten scheint es sinnvoll, diese mindestens jährlich zu aktualisieren.
Wir freuen uns bereits auf das nächste Symposium im Frühjahr, welches vom 31.März bis 02. April stattfinden wird!