Im Herzen von Zug betreibt Dr. Frederic Hermann seine Praxis für Zahnmedizin und Kompetenzzentrum für Implantologie, welche seit dem vergangenen Jahr auch als akkreditierte Weiterbildungspraxis der SSO für allgemeine Zahnmedizin zugelassen ist. Im nachfolgenden Interview gibt der Spezialist Auskunft zu einem volldigitalen Workflow-Konzept in der Implantologie.
Auf was muss man besonders achten, wenn man zwei nebeneinander liegende Implantate setzt?
Die exakte prothetisch orientierte Positionierung zweier nebeneinander liegender Implantate in einer Schalt- oder Freiendsituation stellt erhöhte Ansprüche an den Operateur. Nach der SAC-Risikoklassifizierung des ITI gehen diese Indikationen immer mit einem erhöhten Anforderungsprofil einher, häufig ist die Komplexität erhöht. Schon bei der Planung müssen die heute akzeptierten und wissenschaftlich basierten Regeln der dreidimensionalen Implantatspositionierung beachtet werden. Der Abstand zu den Nachbarzähnen, mindestens 1,5mm, zu angrenzenden anatomischen Grenzstrukturen, mindestens 2mm, einer zirkumferenten Knochenbedeckung, mindestens 1mm, und besonders dem Mindestabstand zwischen beiden Implantaten. Dieser beträgt in der Regel 3mm und kann in Abhängigkeit des Implantattypes, etwa ein- oder zweiteilig, plattform-switch, nach aktueller Studienlage in Ausnahmesituationen auf 2mm reduziert werden. Zu bedenken gilt hier jedoch: je geringer der Abstand, desto grösser das Risiko der interimplantären Resorption des Knochens mit der Folge einer weichgewebigen Rezession und einem Verlust der Papillenstütze. Der interimplantäre Abstand hat darüber hinaus Auswirkungen auf die Gestaltung des Emergenzprofiles und der Hygienefähigkeit der Suprakonstruktion. Dies spielt speziell in der ästhetischen Zone eine bedeutende Rolle bei der präimplantologischen Planung.
Welche Vorteile bietet in einem solchen Fall die digitale Zahnmedizin?
Gerade bei multiplen Implantaten bietet sich neben der konventionellen, analogen Implantatplanung, wie etwa Gipssägemodelle mit Schleimhautdickenmessung und Wax-Up der Prothetik, die digitale 3D-Planung an. Am Diagnose-Termin wird neben der intraoralen Datenerfassung mittels Intraoralscan ein an die klinische Situation angepasstes DVT mit einem möglichst kleinen «field-of-view» der Implantatregion angefertigt. Beide Datensätze werden zu einem virtuellen digitalen Planungsmodell des Patienten überlagert. Dort kann die optimale Positionierung simuliert werden und auf dieser Grundlage eine digitale Bohrschablone zur Umsetzung der prothetisch orientierten Implantatposition in der chirurgischen Phase designt und mittels CAD/CAM gefräst oder mittels 3D-Drucker gedruckt werden. Viele implantologische Planungsprogramme helfen bei der optimalen Positionierung durch Funktionen wie «parallele Ausrichtung multipler Implantate» oder «Einstellung definierter Implantatabstände».
Sie verwenden als erfahrener Implantologe immer wieder Bohrschablonen. Warum? Hätten Sie dies freihändig nicht auch machen können?
Geht es um digitale Implantatplanung und die Herstellung von Bohrschablonen werde ich in Vorträgen und Kursen sehr oft mit dieser Frage konfrontiert. Vielen Kollegen scheinen der Aufwand und die Kosten diesbezüglich doch unverhältnismässig hoch. Vielfach haftet auch noch der umständliche und zeitintensive Ablauf des analogen Weges zur Bohrschablone in vielen Köpfen der Kollegen. Dies sind Gründe warum weltweit nur in ca. 10% der Fälle eine Bohrschablone bei der Setzung eines Implantates verwendet wird.
Was bedeutet dies?
Der digitale Workflow in der Implantologie hat hier viele Erleichterungen gebracht, die es uns heute ermöglichen, zeiteffektiv und kosteneffizient in-house eine Bohrschablone in wenigen Schritten herzustellen. Wir wissen um die Vorteile von Bohrschablonen, wie die Reduktion des chirurgischen Traumas und des Risikos der Verletzung anatomischer Grenzstrukturen. Die wissenschaftliche Datenlage zeigt, dass die Verwendung jeglicher Bohrschablonen zu einer präziseren Implantatplatzierung – auch aus prothetischer Sicht – führt als die Freihand-Operation. Dabei schneiden sogar die digital erstellten Schablonen in der Präzision besser ab als die analog hergestellten. Vergessen darf man jedoch nicht, dass keine Schablone so präzise ist, dass wir die virtuell geplante Position 1:1 transferieren können. Eine kritische Kontrolle intraoperativ ist deshalb in jedem Falle gefragt.
Gegenfrage: Fahren Sie in ihrem PKW heute noch ohne Navigation und Sicherheitssysteme zu einem unbekannten Zielort? Ja, das geht, es drängt sich nur die Frage nach der Zeitdauer im Sinne der Effizienz und der Sicherheit auf…
Sie haben die Kronen mittels CAD/CAM direkt bei sich in der Praxis hergestellt? Weshalb?
Heute haben wir mit dem digitalen Workflow verschiedene Optionen nach der intraoralen Datenerfassung. Die weitere Datenverarbeitung orientiert sich hierbei stark am jeweiligen Praxiskonzept, dem Ausbildungsgrad des Anwenders und der Lokalisation der Implantatrekonstruktion. Vielfach werden Arbeiten in der ästhetischen Zone aufgrund eines höheren Individualisierungsgrades mittels Sirona Connect Portal direkt an den Zahntechniker gesendet. Arbeiten in der funktionellen Zone werden vermehrt chairside in der Praxis hergestellt. Dies bietet eine sehr hohe Effizienz hinsichtlich Zeit und Kosten, für Behandler und Patient gleichermassen.
Als wie wichtig betrachten Sie CEREC respektive die Chairside-Lösungen in der heuten Zahnmedizin respektive Implantologie?
Der digitale Workflow, sei es in der allgemeinen Zahnmedizin, aber auch in der Implantologie hat einen hohen Stellenwert, der in naher Zukunft rapide zunehmen wird. Speziell im Bereich der Diagnostik und Verlaufskontrolle wird durch die Integration der KI, also der Künstlichen Intelligenz, zahlreiche Fortschritte erzielt werden. Das CEREC-Verfahren ist dabei ein zentraler Baustein und spielt seine Vorteile durch die Chairside-Anwendung und das Konzept der «single-visit-dentistry» aus. Ein Aspekt, der von Anwendern und Patienten geschätzt wird. Die Behandlungen werden für den Patienten visualisiert und dadurch nachvollziehbarer. Dies stärkt wiederum das Vertrauen in das zahnärztliche Handeln. Zeit- und Kosteneffizienz sind weitere wichtige Aspekte in diesem Zusammenhang.
Wie stark setzen Sie etwa 3D Röntgen- oder Scanaufnahmen bei Ihrer Patientenkommunikation ein?
Die Patientenkommunikation ist heute visueller als früher. Wir setzen intraorale Fotos und Videosequenzen, welche mit der Cerec-Aufnahmeeinheit realisiert werden, sowie selbstverständlich das digitale Modell, aktiv in der Patientenkommunikation ein. Eine DVT-Aufnahme ermöglicht nach der Überlagerung mit dem intraoralen Datensatz eine perfekte Kommunikation der geplanten Therapie mit dem Patienten. Die Behandlung wird so transparent visualisiert für den Patienten und nachvollziehbar. Dies stärkt das Vertrauen in die geplante Therapie und hilft Ängste abzubauen. Die Zukunft wird sich hin zu einem digitalen Patientenmodell bewegen, in dem alle präimplantologischen Analysen zusammengeführt werden und uns helfen, die jeweils wissenschaftlich basierte Therapie patientenindividuell durchzuführen.