Gastbeitrag von Dr. Thomas Müller, Schaffhausen
In den letzten Jahren und Jahrzehnten sind die Anforderungen ans Praxisteam generell gestiegen. Denken wir an regulatorische Anforderungen oder an Herausforderungen durch die Anwendung neuer Techniken und Technologien. Die Gefahr, dass wir uns permanent überfordern, ist gross. Die Bildungs-Asymmetrie der verschiedenen Teammitglieder verstärkt zudem bei vielen Praxisinhabern und Teamleitern das Gefühl, alle anspruchsvollen Anforderungen allein erfüllen zu müssen, damit die Qualität für sie stimmt.
Die Evolution verschiedener Organisationsformen
Praxisinhaber oder Teamleiter haben weitverbreitet immer noch den traditionellen Anspruch, überall die Besten und Klügsten zu sein. Dieser Anspruch entstammt den vielen Vorbildern konformistischer Organisationen wie beispielsweise der katholischen Kirche oder der Armee. Als Chef sollte ich also der beste und klügste Zahnarzt, Praxis-Administrator, Materialverwalter, Hygiene- und Wartungsverantwortliche, IT-Spezialist, Personalmanager, Qualitätsmanager sein – um nur ein paar Aufgaben zu nennen. Ich sollte… bin aber mit der schieren Masse der Anforderungen überfordert. Weit weg also von «Flow»! Und wenn ICH es schon nicht schaffe: Wer von meiner weniger gut ausgebildeten Team-Mitgliedern sollte es dann können? – Ich lasse ihnen daher möglichst wenig Spielraum, kontrolliere sie ständig und kritisiere ihre Fehler.
Kein Wunder also, dass zahllose Studien verdeutlichen, dass die grosse Mehrheit der Mitarbeiter keine Freude bei der Arbeit hat. Eine Umfrage von Gallup aus dem Jahre 2013 zeigte zum Beispiel, dass nur 13 Prozent der Mitarbeiter weltweit wirklich mit Engagement bei ihrer Arbeit anwesend sind. 63 Prozent sind nur halbherzig anwesend und 24 haben innerlich gekündigt. (Laloux, Reinventing Organizations, 2016). Wiederholbare Prozesse können unter einem stabilen Organigramm ordentlich ausgeführt werden. Klar! Mit viel Hingabe und Berufung hat das aber wenig zu tun. Leistungsorientierte Organisationen der jüngeren Zeit sind zwar innovationsbewusst, qualitätsorientiert (verlässlich) und werden nach Zielvorgaben geführt: Wer viel leistet, wird erfolgreich. Geld und Anerkennung sind Lohn dafür. Aber reicht das als Sinn für ein Leben?
Postmoderne (pluralistische) Organisationen versuchen, Hierarchien zu vermindern und Mitarbeiter zu ermächtigen, Stichwort «empowering». Gemeinsame Werte werden gelebt und die Mitarbeiter werden darin gefördert, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Postmoderne Organisationen haben nicht nur Verantwortung gegenüber den Investoren (Inhabern), sondern auch gegenüber Mitarbeitern, Kunden, Zulieferern, der gesamten Gesellschaft und der Umwelt. (Laloux, Reinventing Organizations, 2016). Kommunikation und Austausch von Wissen und Informationen sind für das Funktionieren dieser Organisationsform unabdingbar.
Neue digitale Werkzeuge
Der transformative Charakter der Digitalisierung geht wesentlich von der zunehmenden Vernetzung und der damit verbundenen Demokratisierung des Wissens aus. Alle Menschen (zumindest in unseren Breitengraden) können jederzeit, von überall auf jede Information zugreifen. Das verändert unsere Wesen, unsere Wertvorstellungen und unsere Kultur. Es ist daher unerlässlich, neue Werkzeuge bereit zu stellen, welche diesem Anspruch auch in unseren Praxen gerecht werden und welche uns Schritt für Schritt an eine Organisationsform heranführen, wo der Arbeitsort Praxis ein Ort individueller und kollektiver Entfaltung und ganzheitlichem Sinn darstellen kann. Dazu braucht es aber einen radikalen Perspektivenwechsel. Denn solche Organisationen benötigen eine andere Führung! Ein Weg zur evolutionären Organisation geht zwingend über geteiltes, kollaborativ erarbeitetes Wissen.
Schwarmintelligenz oder das neue Arbeits-Hirn
Einen äusserst spannenden Ansatz verfolgt hier das digitale «Werkzeug» Q.wiki. Q.wiki ist ein Ort, wo Ansprüche an Qualitätsmanagement vereint werden mit gemeinsamen Erschaffen von explizitem Praxiswissen. Es ist ein Ort verschriftlichter Kommunikation. Es ist der Ort, wo Praxis-Schwarmintelligenz dominiert, weil jedes Teammitglied seine persönliche Expertise einbringen und sich am Aufbau beteiligen kann. Es ist ein Ort, wo relevantes Alltagswissen abgelegt wird, welches leicht abzurufen ist und somit die Arbeit vereinfacht, jeden entlastet und damit eine Art «Arbeits-Hirn» darstellt. Digital und teilautomatisiert. So wie in jeder guten Fussballmannschaft jeder Spieler die Spielregeln kennt, seine Position beherrscht, seine Stärken kennt und dazu beiträgt, das Spiel zu gewinnen, so verhält es sich auch in einer Praxis, die mit Q.wiki intensiv arbeitet.
Gemeinsam erschaffen
Implizites Wissen eines jeden Einzelnen wird strukturiert und wiederauffindbar mit allen geteilt, jederzeit abrufbar gemacht und wird so zu explizitem Wissen der Praxis. Konkret werden alle zur entsprechenden Zeit besten Praktiken – also vom Telefondienst über die Arbeitsplatzvorbereitung, Therapie, Aufarbeitung von Instrumenten und Geräten bis zum Umgang mit Computern und der Beschaffung von Materialien und dem Recallwesen – in Q.wiki, der Online-Plattform der Praxis, strukturiert und prozessorientiert abgebildet. Hierzu dienen als Grundlage alle Dokumente eines bereits bestehenden Praxishandbuchs bzw. Dokumente, welche einem solchen zugeordnet werden könnten. (Bsp. Hygiene- und Röntgenbetriebskonzepte etc.) Im Alltag steht dieses Wissen dann am Ort der Anwendung zur Verfügung: In der Sterilisation, im OP, in der Administration etc. Das geht ganz einfach! Q.wiki bietet eine übersichtliche Grund-Struktur (Prozesslandschaft) in welche jegliche praxisspezifischen und alltagsrelevanten Informationen eingepflegt werden. Dies funktioniert für die «Start-up-Praxis» ebenso wie für die QM-erfahrene Klinik. Das gesammelte, praxisspezifische Wissen kann hervorragend zur Einführung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter genutzt werden. Einmal erfasstes Wissen steht ab sofort und für immer zur Verfügung. Es dient aber auch zur Entlastung von langweiligen Routineabläufe oder beim stupiden Auswendiglernen. Mittels Volltextsuche werden – wie von Wikipedia oder Google gewohnt – im Alltag Ihre Praxisinformationen gefunden.
Das Wissen wird dezentralisiert, mitarbeiterzentriert mittels Diagramme, Beschreibungen, Checklisten, Fotos und Videos dokumentiert. Durch die Transparenz aller Informationen werden so Prozessfehler minimiert. Das kann viel Geld sparen!
Zahnarztpraxen müssen ein Qualitätsmanagement vorweisen können
Das spezielle an Q.wiki ist, dass alle Anforderungen, welche an ein Qualitätsmanagement (QM) gestellt werden, selbstverständlich und weitgehend automatisiert ablaufen. Änderungen an Dokumenten können von jeder angemeldeten Person angestossen, innert kürzester Zeit überprüft und freigegeben werden. So wird arbeiten im Team hoch anpassungsfähig – agil! Ganz papierlos. Es ist ungemein entlastend, wenn jedes Teammitglied nur auf das «gültige» Wissen zugreifen kann. Friktionen können so entdeckt, durch kontinuierliche Verbesserung reduziert und ganz eliminiert werden. Rücksprachen werden massiv reduziert und es wird fokussierter gearbeitet. Wenn jede Arbeitskraft weiss, was zu tun ist, versteht, was sie macht und dabei ihr Arbeitsumfeld mitgestalten kann, dann wird sie Arbeit als sinnvoll empfinden. Sinnhaftigkeit, Verstehbarkeit und Handhabbarkeit finden dann in der Organisation ihren ressourcenorientierten Ansatz.
Abläufe werden ruhiger und sind hochprofessionell. Davon profitieren nicht nur das Team, sondern auch unsere Patienten: Wenn der Termin stimmt, alles bereit und das Material da ist, alle Abläufe ruhig und selbstverständlich sind… dann ist Platz für Flow!