Die älteren Jahrgänge unter den Dental Journal Leserinnen und Lesern werden sich sicherlich noch an die Marke «Atari» erinnern, jüngere zweifelsohne an «Nokia». Atari war in den 1980er-Jahren der absolute Marktführer in Sachen Computerspiele, Nokia beherrschte vor etwa zwanzig Jahren den Mobiltelefonmarkt. Und heute? Verschwunden und vergessen! «Nichts hält ewig» lautet ein Sprichwort, und in diesem Sinne sind auch Zahnarztpraxen dem sogenannten Produktlebenszyklus unterworfen.
Phase 1: Einführung
Auch Marken und Unternehmen entstehen, ähnlich einer Geburt, manchmal von langer Hand geplant, manchmal aus den Umständen heraus. 2009 etwa verließen zwei Mitarbeiter von Yahoo, ebenfalls eine Marke, die schon stärker gewesen ist, das Unternehmen und gründeten eine Nachrichtenapplikation, die heute jeder kennt: WhatsApp. Die Einführung am Markt war relativ einfach, gab es doch damals kein Konkurrenzprodukt. In der Zahnmedizin sieht dies jedoch ganz anders aus, handelt es sich doch um einen gesättigten Markt. Praxen gibt es schon mehr als genug, niemand wartet daher auf eine neue. Bei der Einführung geht es somit darum seinen Platz unter all den anderen Konkurrenten zu finden und sich dort, langsam, aber stetig, einen Namen zu machen.
Dabei ist «langsam» ein wichtiges Stichwort. Selbstverständlich möchte man so schnell wie möglich auf einen grünen Ast kommen, die Agenda ausgelastet haben und somit finanziell sorglos arbeiten zu können. Zu diesem Thema gibt es eine Unmenge an Fachpublikationen und Crashkurses, die einem etwa «30 Neupatienten in einem Monat» versprechen. Doch Achtung, wer diesen Wunsch hegt und auf diese Art der Verlockung reinfällt, hat weder die nötige Weitsicht noch den Lebenszyklus der eigenen Dentalpraxis verstanden. Schnelles Wachstum hat in der Regel wenig mit Nachhaltigkeit zu tun, Patienten, die man schnell gewinnt, etwa mit Aktionen und Offerten, sind ebenso schnell weg, wie sie gekommen sind.
Aus diesem Grund sind in der Einführungsphase zwei Dinge besonders wichtig. Erstens eine klare Positionierung und Werteskala, mit welcher man sich diesen Platz im Dentalmarkt erobern möchte. Diese Alleinstellung muss fundiert, in Ruhe, ganz genau erarbeitet und definiert werden, lässt sich eine Positionierung nur schlecht ändern, hat man mal damit angefangen, diese umzusetzen.
«Qualität statt Quantität» bei der Gewinnung von Neupatienten ist das zweite Argument in der Einführungsphase. Dies bedeutet zwar, dass man langsamer wächst als vielleicht erhofft, dafür tut man dies ganz bewusst hinsichtlich der Jahre, die noch vor einem liegen. Lieber zwei Patienten, die man als Kunden über Jahre an sich binden und als Opinion Leader für die eigene Praxis gewinnen kann, als fünf Neupatienten, die man nicht langfristig halten kann. Das Leben ist lang, sowohl das eigene wie auch jenes der Praxis, also darf man seine Karriere als Zahnarzt und Praxisinhaber auch besonnen angehen.
Phase 2: Wachstum
Eine der größten Herausforderungen in der Wachstumsphase einer Zahnarztpraxis ist die Harmonie respektive die Ausgewogenheit als Unternehmen. Praktisches Beispiel hierfür ist das Online-Shopping, welches während der Pandemie geradezu explodiert ist. Nicht wenige Unternehmen sind mit der Flut an Bestellungen nicht mehr klargeworden, plötzlich dauerte die Auslieferung nicht, wie zum Beispiel versprochen, 48 Stunden, sondern Tage. Zu wenig Personal, zu kleine Logistikstrukturen, fehlender Nachschub waren hierfür einige der Gründe.
Nicht unähnlich kann es in der Zahnarztpraxis laufen, wenn etwa die Mund-zu-Mund Propaganda erfolgreich funktioniert und sich das Wartezimmer mit Patienten füllt. Nicht selten ist man dann so «im Schuss», dass man nicht dazu kommt innezuhalten und sich zum Beispiel davon zu versichern, dass die Qualität im Umgang mit den Patienten weiterhin auf dem gleichen, hohen Niveau ist wie zu Beginn definiert und auch umgesetzt. Wachsen Unternehmen nach Außen, so müssen sie dies auch nach Innen tun. Unternehmerisch denkende Zahnärztinnen und Zahnärzte greifen daher den Tatsachen vor, in dem sie lieber früher als später neues Personal anstellen oder die interne Organisation optimieren, in dem sie zum Beispiel administrative Aufgaben auslagern. Denn nur so kann man sicher sein, dass das Wachstum, für welches man so hart gearbeitet hat, sich mit der Zeit nicht gegen einen selbst wendet.
Phasen 3 & 4: Reife und Sättigung
Sämtliche Lebensphasen eines Unternehmens fließen ineinander über, nahtlos und manchmal unbemerkt. Genau aus diesem Grund ist eine regelmäßige Standortanalyse und -bestimmung entscheidend, einmal im Jahr sollte dies auf alle Fälle geschehen. Wie sieht es mit dem Umsatz aus? Und wie mit der Zahl der Neupatienten? Dass diese Daten nicht mehr so zunehmend groß sind wie während der Wachstumsphase, liegt in der Natur der Dinge. Gerade in einer Zahnarztpraxis ist es leicht festzustellen, ob man die Reife respektive die Sättigung erreicht hat, nämlich dann, wenn sämtliche Behandlungseinheiten voll ausgelastet sind.
Nun gilt es aufzupassen, nicht das zu tun, was schon so manchem, großen Marktführer zum Verhängnis geworden ist: sich auf den eigenen Lorbeeren auszuruhen. Selbstverständlich ist es richtig, sich zum Beispiel einen freien Tag in der Woche mehr zu gönnen, ganz im Sinne einer ausgewogenen Life-Work-Balance. Unternehmerisch respektive zahnmedizinisch Ausruhen darf man sich allerdings auch währen der Reife und Sättigungsphase nicht, dreht sich die Welt um einen herum immer weiter. Neue Praxen öffnen ihre Türen, jüngere Kolleginnen und Kollegen suchen sich ihren Platz am Markt, so wie man es ja einst selbst gemacht hat. Aber auch die Wissenschaft und die Technologie entwickelt sich in Riesenschritten weiter, neue Protokolle und innovative Gerätschaften verändern die Zahnmedizin laufend.
Praxisinhaberinnen und -inhaber sind in der Regel kleine Könige in ihrem Reich und nicht gewohnt hinterfragt zu werden. Diese Attitüde ergibt sich aus der Hierarchiestruktur, die in der (Zahn-) Medizin von Natur aus gegeben ist. Doch genau aus diesem Grund sollte man immer am Puls des Geschehens bleiben, schließlich lernt man nie aus. Jetzt, wo die Praxis läuft und Geld abwirft, sollte man dies auch nutzen um in die Zukunft zu investieren, in Weiterbildung seines Teams und von sich selbst, aber auch in die Infrastruktur der eigenen Praxis. «Never change a winning horse» lautet ein anderes Sprichwort, doch sollte man darauf achten, dass das Pferd trotz der zunehmenden Jahre nicht träge wird, sondern fit bleibt. Gute Beispiele hierfür sind die zu Beginn erwähnten Marken Atari und Nokia. Als Marktführer wurden sie träge und bekamen nicht mit, dass irgendwo neue, innovativere Leute und Unternehmen am Werk waren und sich langsam zu einer ernstnehmenden Konkurrenz entwickelten.
Phase 5: Niedergang
Ebenso schleichend, wie es von der Reife zur Sättigung übergehen kann, kann auch der Niedergang einsetzen, ohne dass man es merkt. Oder erst dann, wenn es schon zu spät ist. Die regelmäßige, mindestens jährliche Auswertung der Patientendaten kann zwei klare Hinweise dafür liefern, dass es langsam abwärts geht. Erstens Indiz ist die Zahl der Neupatienten, die kontinuierlich abnimmt. Oftmals fällt diese Tatsache gar nicht auf, ist man doch während der Sättigungsphase mit bestehenden Patienten bestens ausgelastet. Zweites Indiz für einen Niedergang ist das Durchschnittsalter des aktuellen Patientenstammes: Wird dies immer höher? Kommen keine jüngeren Patienten nach?
Der Niedergang, und das gilt auch bei Marken und anderen Unternehmen, setzt ganz langsam an. Aus diesem Grund sind beide Faktoren kein Grund zur Panik, weisen sie doch lediglich darauf hin, dass aus der Reife der Praxis mit der Zeit eine Überreife werden kann. Doch was tun?
Auch hier kann man von der Wirtschaft lernen. Wie viele Male seit deren bestehen hat zum Beispiel Cola Cola das Design ihrer Flaschen und Büchsen überarbeitet, in Form und Farbe? Weshalb kommt es bei (Groß-) Unternehmen immer wieder zu Wechseln an der Unternehmensspitze? Die Ansprüche des Marktes ändern sich laufend, und das gleiche gilt auch für die Dentalpatienten. Gerade in der Zeit der Reife und der Sättigung hätte man genügend finanzielle Ressourcen, um in den Außenauftritt der eigenen Praxis zu investieren – von der Webseite bis zur Inneneinrichtung des Wartezimmers. Selbstverständlich sollte eine Praxisrenovierung dem Inhaber gefallen, wichtiger ist jedoch, dass das Neudesign auch die jüngere Generation anspricht. Vielleicht sollte man in diesem Sinne sich selbst etwas zurücknehmen und vermehrt die Meinung anderer – Mitarbeiter, Architekten, Berater – zulassen.
Neues Blut, wie etwa bei den obenerwähnten Wirtschaftskapitänen, bedeutet in der Zahnmedizin, bewusst jüngere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur anzustellen, sondern diese auch aktiv zu involvieren. Eine solche «Jungzellenkur» ist ein weiterer Ansatz, um eine Praxis vor der Rezession zu bewahren. Entscheidend ist auch hier, wie bereits erwähnt, dass man als gesetzter Zahnarzt auf die neue Generation hört, deren Meinung berücksichtigt und integriert, alles mit dem Ziel den frischen Wind in der Dentalpraxis weiter zu sichern.
An die Nachfolge denken
Je besser eine Zahnarztpraxis nicht nur läuft, sondern je proaktiver der Reife- und Sättigungsgrad gehalten wird und Maßnahmen unternommen werden um einen Niedergang weit, weit nach hinten zu verschieben, um so attraktiver ist diese für mögliche Nachfolger. Gerade in einer Zeit, in welcher sich die jüngere Generation Gedanken über die eigene Life-Work-Balance macht, ist es klar, dass eine Praxis, die das Lebensalter des Inhabers oder Inhaberin vermittelt, für potentielle Nachfolger respektive Käufer lange nicht so attraktiv ist wie eine, die den Eindruck vermittelt am Puls der Zeit zu sein.