Wir haben Fragen gestellt, Meinungen eingeholt – und sie sind, wie nicht anders zu erwarten, kontroversiell ausgefallen. Hier ein Interview mit ZTM Ronald Hölbl aus Lauterach und ZTM Christian Richter aus Grieskirchen in Oberösterreich. Als CAD/CAM-Pioniere der ersten Stunde sind sie alles andere als Technologieverweigerer – dennoch sind sie sehr kritisch bei der Beurteilung zahntechnischer Zukunftsperspektiven.
Herr Richter, wo liegen die Vorteile der digitalen Zahnheilkunde?
Die 3D DVT Diagnostik, Implantatplanung und die geführte Implantologie machen die Behandlung schneller und sicherer. Der Intraoral-Scanner vereinfacht die Abformung und unterstützt den Behandler bei der korrekten Präparation, indem er Korrekturen vorschlägt. Die Qualität der Unterlagen wird besser – sowohl für den Zahnarzt als auch für den Zahntechniker.
Herr Hölbl, wo liegen die Vorteile speziell in der Zahntechnik?
Präziser, genauer, schneller – und sonst? CAD/CAM-Arbeiten und selbst monolithische Frontzahnversorgungen in Zirkon oder Lithium-Disilikat sind heute ästhetisch auf hohem Niveau. Und der 3D-Druck von keramischen Materialien ist heute schon möglich.
Aber: Uns Zahntechnikern bleibt durch das damit verbundene hohe und laufende Investment ein erhebliches finanzielles Risiko sowie gleichzeitig die Gefahr des Verlustes an Aufträgen durch den Zahnarzt selbst: Inhouse-Arbeitsschritte und zahntechnische Industrieleistungen, die mittlerweile alle Dentalfirmen dual mit anbieten, zeigen ihre Wirkung.
Herr Richter, wie problematisch ist dabei das Verhalten der Zahnärzteschaft?
Das Qualitätsniveau der Zahnärzte ist sehr hoch in Österreich. Sie tragen auch das Gewissen und den Eid, den sie geleistet haben, inne. Jedoch ist ein bedenklicher Wandel der Geschäftsgebarung zwischen Zahnarzt und Zahntechniker durch verschärfte Rahmenbedingungen spürbar: die Industrie bestimmt immer mehr die Kosten, der Zahnarzt wird immer mehr von ihr abhängig. Der Zahntechniker kommt in eine bedenkliche Kostenschere, weil er Leistungen unter seinen Gestehungskosten anbieten muss.
Der Zahnarzt honoriert teilweise nicht das hohe Leistungsniveau und die hohe Spezialisierung des Zahntechnikers:
„Mein Zahntechniker ist ein Künstler“ – aber zu welchem Preis?
Aber die Schichtkoryphäen kommen ohnehin aus der Vergangenheit! Besonders bedenklich: Die Industrie fokussiert sich auf den Zahnarzt und umgeht immer mehr den Zahntechniker. Diverse Roadshows, eine schiere Flut an Prospekten – alles für den Zahnarzt, kein Wort vom Zahntechniker.
Aber ist es nicht so, dass viele Anbieter umfangreiche Trainingsprogramme gerade dem Zahntechniker anbieten?
Das dient allein dazu, Ihre Materialien zu bewerben und zu testen! Mit bekannten Referenten und kräftigen Gebühren. Parallel bieten sie auch Bemalungskurse für Assistentinnen für chairside gefertigte Keramik-Kronen an. Hier geht es um Marktanteile in einem harten Verdrängungs-Wettbewerb, nicht um die Frage Zahnarzt oder Zahntechniker.
Herr Höbl, wie sehen die bedenklichen Trends im Detail aus?
Firmen binden Zahnärzte und Zahntechniker geschickt auf leisen Sohlen durch ihre dualen Lösungskonzepte und bringen sie in eine Abhängigkeit. Die Lockangebote der Industrie an die Zahntechnik: Es wird ein tolles Lösungskonzept angeboten, verbunden mit Abnahmeverpflichtungen. Es erfolgt eine Bindung über kostenintensive Lizenzen, dadurch ergibt sich ein Zwang zu Mindestauslastung, und das mal 3 oder 4, weil ja mit jedem Industrie-Anbieter das gleiche Spiel läuft. Oder Beispiel Ordination: DVT mit de facto proprietärer Planungs-Software, nach Prüfung des Planungsvorschlages durch den Chirurgen erfolgt der Datenversand an den Implantat-Anbieter. Er bietet die Bohrschablonenfertigung und gleich die Provisorien mit an – so günstig, dass das Labor preislich nicht konkurrenzfähig ist. Mit den Klebebasen und Aufbauteilen dazu machen sie Ihr Geschäft. Das geht am Zahntechniker völlig vorbei.
Ein tolles Lösungskonzept, verbunden mit Abnahmeverpflichtungen und kostenintensiven Lizenzen
Dann: Enoraler Scan – Modell drucken und Passung der Schablone vor Ort prüfen – der Workflow ist digital, der Zahnarzt braucht keinen Zahntechniker dazu. Erst bei der Suprastruktur kann sich der Zahntechniker einklinken – aber auch hier: optisches Abformen der Scanbodies in der Ordination und Datenversand zur Stegkonstruktion an Schleifzentren – z. B. von Implantatfirmen. Konstruiert und gefräst wird irgendwo, das geht ebenfalls am Zahntechniker vorbei. Auch hier wird selbst bei hochkomplexen Arbeiten der manuell agierende Zahntechniker in 5 bis 10 Jahren teilweise nicht mehr nötig sein.
Die Industrie bietet immer mehr zahntechnische Leistungen direkt an
Herr Richter, ist nicht gerade bei komplexen Arbeiten die Kooperation mit dem Zahntechniker sinnvoll? Stichwörter: bei schlecht bezahltem Zeitaufwand erhöhtes Risiko des Zahnarztes bei Konstruktionsmängeln durch mangelnde Routine – Wiederholung –Ärger mit dem Patienten?
Sollte man meinen. Aber der Zahntechniker wird zwischen Zahnarzt und Industrie zerrieben: Preisdruck und Verlagerung von Arbeiten weg vom Zahntechniker. In Wien sperren vier Labors zu, in Oberösterreich sind einige Betriebe ohne Techniker stark betroffen! Es fehlt an Nachwuchs, weil keine Zukunftsperspektiven vorhanden sind.
Der Zahntechniker hat sich leider auch selbst in die missliche Lage hineinmanövriert – als abhängiger Dienstleister des Zahnarztes und braver Abnehmer der Industrie. Auswüchse wie: Reparaturen gratis, damit sie eine K&B Technik vom Zahnarzt bekommen. Oder: Prothetiktage beim Zahnarzt, volle Dienstleistung ohne Bezahlung, alles macht der Zahntechniker. Zum Vergleich: Mein IT Profi kommt und ich zahle die Zeit zur Herstellung meines kaputten Rechners inkl. Teile!
Herr Hölbl, wo sind die Problemzonen der Kostenstruktur in der Zahntechnik?
Der Zahntechniker braucht eine seriöse Geschäftsgebarung. Er hat eine Mischkalkulation, benötigt aber Reserven. Ein kalkulierbarer Umsatz muss vorhanden sein, sonst ist das Geschäft nicht planbar. Der ist in der Regel nicht vorhanden, damit wird man erpressbar – ebenfalls durch Zeitdruck: alles sollte so schnell wie möglich gefertigt werden. Die Qualität wird dadurch nicht besser.
Eine Kalkulation: ZTM 75 Euro/Std plus Material, Bereitstellung und Wagnis. Eine Zirkonkrone müsste zwischen 380 bis 400 Euro kosten.
Ich kann mich vage an einen Umrechnungs-Schlüssel erinnern, wonach Techniker und Arzt eine nahezu gleiche Aufteilung hatten. Aber wenn der Zahntechniker zu teuer ist, dann wird schnell zu einem anderen gewechselt, es gibt ja genug – noch.
Darum kann sich jedes Labor glücklich schätzen, wenn es Kunden hat, die den hohen Aufwand zu schätzen wissen und auch honorieren.
Ist der Zahntechniker zu teuer, wird er ausgewechselt. es gibt ja genug – noch
Wie sehen die Investitionsnotwendigkeiten bei der Infrastruktur aus?
Ein großes Problem ist die Investition in Hardware. Das Labor hat das volle Risiko und einen sehr kleinen Markt, in dem er sich bewegen kann. Die Hardware amortisiert sich wegen der raschen Entwicklungen nicht schnell genug und er wird von der Industrie torpediert: z.B. 80.000 Euro für eine Fräsmaschine, gleichzeitig bietet derselbe Anbieter auch Services an den Zahnarzt und bootet den Zahntechniker aus. Oder: Kauf eines 3D-Druckers, um Bohrschablonen anbieten zu können, wobei die Hülsen vom Implantatanbieter teuer sind. Eine attraktive Kalkulation ist unmöglich, weil gleichzeitig die Industrie dieselbe Schablone erheblich günstiger anbietet. Daher wird die Bohrschablone direkt vom Implantatanbieter bestellt.
Herr Richter, erlaubt die CAD/CAM-Infrastruktur ein breiter gefächertes Angebot (günstige und High End-Lösungen)?
Die Einsparungsmöglichkeiten der Infrastruktur sind sehr beschränkt. Die Kalkulationskosten für ein CNC/CAD/CAM Fräsgerät sind immer die gleichen, Wartung, Service, Fräser – und ein Personal, das dieses auch bedienen kann (CAD/CAM ca. 1.600 Euro/Monat). Die Materialien kommen dann noch hinzu. Die Arbeitszeit ist ein zu kleiner Anteil, um hier breit zu fächern. Wo soll man einsparen? Eine Low Budget Krone sollte ja auch perfekt passen! Wir sind ja nicht im Möbelhaus, wo man dann einen Rabatt bekommt, wenns nicht passt. In der Zahntechnik gibt es keinen Umtausch, nur eine Neuanfertigung!
Eine monolithische Low Budget Krone ist auch kein Ausweg, da das Wiederholungsrisiko zu groß ist. Auch bei den Materialien: wenn solche Auswüchse wie etwa NE-Abutments auf Titanimplantaten geschehen, damit ein paar Euros gespart werden – ein Wahnsinn, wenn man das werkstoffkundlich betrachtet.
Wir sind nicht im Möbelhaus, wo man dann einen Rabatt bekommt, wenn’s nicht passt
Herr Hölbl, wovon sollte sich der Zahntechniker verabschieden, wo engagieren? Sind andere Geschäftsmodelle analog zu Lyra sinnvoll? (Hardware in der Praxis, IO-Scandaten an Lyra zur Konstruktion, Datensatz zurück an Zahnarzt, ausschleifen in der Praxis)
Ich denke nicht. Und Geschäftsmodelle wie Lyra bietet mittlerweile schon fast jeder Implantathersteller an. In Zukunft wird es die One-Man-Show oder das Großlabor geben, dazwischen nichts. Aber es wird eine Renaissance des Praxislabors geben. Besser gesagt, der digitale Dentist hält Einzug.
Frage an beide: Was wäre wenn – was muss vorhanden sein für eine gute Zukunftsperspektive?
Türen für Spezialisierung öffnen und ausbauen, wo die Industrie keine adäquaten Lösungen anbieten kann. Der reine digitale Workflow wird zwar verkauft, aber die – oft zu starken – Nebengeräusche werden nicht offen ausgesprochen.
Eine starke Interessensvertretung gegenüber Industrie sowie der Ärztekammer, um z. B. einen fairen Leistungskatalog zu erstellen und durchzusetzen. Der deutsche BEL oder BEB Leistungskatalog wäre schon ein erster Schritt. Die Innung hat hier bisher allerdings bis jetzt – nach mehr als 40 Jahren – keinen Erfolg bzw. annehmbarem Vorschlag ausverhandelt.
Die Ausbildung ist in keinster Weise zeitgemäß und gehört dringendst reformiert, erste Schritte wurden ja bereits gesetzt.
Das prothetische Fachwissen versiegt komplett, grundlegende Sachen fehlen und von den neuen Techniken fehlt der Ansatz, auch wenn sich manche mit den bestehenden Rahmenbedingungen nach Kräften bemühen! Was die Zahntechnische Assistenz angeht, sind ebenfalls Fragen offen.
Der Lehrherr trägt sehr viel Verantwortung: er muss führen und lehren, Zukunftsvisionen vermitteln, vorbereiten auf die Realität – wann muss hochästhetisch gearbeitet werden, wann reichen einfache Lösungen.
Wir sind eine hochspezialisierte Zunft, die nach anatomischen Vorgaben handwerklich mit Unterstützung von digitalen und computergesteuerten Fräs-und Druckmaschinen mit verschiedenen Materialien wie Kunstoffen, Polyamiden, keramischem-Glas, Metall-Legierungen aller Art, Reinmetallen wie Titan, mit Silikonen, Compositen und und und… einen Zahnersatz herstellen.
Ein Muss für die Branche Zahntechnik ist: Der Berufsstand muss komplett von Grund auf aufgewertet werden, in zwei Schritten:
1. Berufserweiterung zum ZTM Zahnprothetiker (Total-Teilprothetik und Modellguss), wobei diese Tätigkeit nur ausgeübt werden kann, wenn eine Meisterprüfung vorliegt und mit Absprache der Ärztekammer eine Prüfung über das nötige anatomische Wissen und die Richtlinien einer hygienischen Prothetik bestätigt werden kann. Das muss mit Kollektivvertrags-Verhandlungen einhergehen, damit die Verdienstfrage gelöst wird – der wiederum einen Verkaufspreis mit der nötigen Deckung ermöglicht.
2. Eine akademische Ausbildung muss ins Auge gefasst werden: Lehrberuf mit Matura oder auf einer Uni, 5 Jahre, mit Anatomie, mit Implantologie und Ausbildung für die digitale Welt – eine Ausbildung, die nach der Matura ein verkürztes Studium zum Zahnarzt ermöglicht. Eine Ausbildung auf Augenhöhe mit bestehenden und künftigen Zahnärzten.
Nicht zuletzt die Verdienstfrage für die Angestellten. Verdienst ist ein Fundament für die Zukunft und den Fortbestand der Branche. Er sollte sich nach den ähnlich technischen Branchen richten. Tatsächlich ist es im Österreichischen Durchschnitt viel weniger, weil keine Kostendeckung für höhere Gehälter vorhanden ist. Dies sollte ein Denkanstoß sein und auch eine Diskussion für Verbesserungen anregen.
Artikel erstmalig erschienen in dental journal austria 0118