Es muss also doch was dran sein an den schicken weißen Schräubchen. So berichten Implantologen, die seit geraumer Zeit auch Keramik-Implantate setzen, aus ihrer klinischen Erfahrung heraus von einer signifikanten Reduktion der Periimplantitis-Gefahr. Lässt sich das wissenschaftlich belegen? Und haben Keramik-Implantate nun das Zeug, Titan zu ersetzen oder reifen sie lediglich in ihrer Rolle als metallfreie, weiße Alternative?
Was liegt näher, als an kompetenter Stelle nachzufragen. Die Expertise von Univ.-Prof. DDr. Werner Zechner zu betonen, hieße Eulen nach Athen tragen. Neben seiner umfangreichen Forschungs- und Referententätigkeit ist er seit 2018 auch Mitglied des Scientific Advisory Boards der European Society for Ceramic Implantology. Er hielt am heurigen Österreichischen Zahnärztekongress in Linz einen bemerkenswerten Vortrag zu diesem Thema – wir haben darüber berichtet – und auch am EAO-Kongress waren Keramik-Implantate ein heißes Eisen. Cand. Med. Dent. Leon Golestani, angehender Medizinjournalist, hat Herrn Prof. Zechner zum Interview gebeten.
Sehr geehrter Herr Prof. Zechner, vielen Dank, dass Sie sich für das Interview Zeit genommen haben. Die Suche nach metallfreien Alternativen in der Medizin ist seit längerem bekannt. Die Diskussionen um Implantate aus Keramik nimmt immer mehr an Fahrt auf, zum einen gibt es die ZrO2 Befürworter, die vor allem von einer besseren Biokompatibilität sprechen, und zum anderen die Skeptiker, die nach wie vor Titan als Goldstandard sehen. Nun zu meiner Frage: Wie beurteilen Sie bisherige klinische Erfahrungen und die Indikationsbreite bei vollkeramischen Implantaten?
An der Universitätszahnklinik sammeln wir klinischen Erfahrungen mit keramischen Implantaten seit ungefähr einem Jahr. Es hat sich dabei gezeigt, dass die Insertion von Keramikimplantaten in vielen Phasen der Insertion von Titanimplantaten entspricht, aber auch die Berücksichtigung von Details erfordert, während des Eingriffs als auch bei der anschließenden Versorgung. Die Wahl von keramischen Implantaten – deren verfahrenstechnische (Weiter)-Entwicklungen haben eine breitere Anwendung ermöglicht – sehen wir eher als eine von Patienten ausgehende Nachfrage nach metallfreien Lösungen als eine behandlerseitige medizinische Indikation. Ich schätze die Langzeit-Dokumentation von Titanimplantaten bis zu 36 Jahren (Stand 2017) wie auch eine vorliegende, mehrjährige Dokumentation von Keramikimplantaten und kann daher auf Patientennachfrage beide Lösungen anbieten. An der Universitätszahnklinik untersuchen wir derzeit die Schnittstelle zwischen Implantat und Abutment hinsichtlich des Einflusses auf das periimplantäre Weichgewebe.
Die ersten Systeme waren einteilig und somit in der Indikation eingeschränkt. Zwischenzeitlich bieten einige Hersteller auch zweiteilige Versorgungen an. Wie beurteilen Sie die Schnittstelle Abutment/Implantat und welches Verfahren würden Sie favorisieren?
Die Einteiligkeit mit der Notwendigkeit der Zementierung sehe ich als erheblichen Nachteil beispielsweise wegen der Einschränkung bei der Implantatachse. Konsequenzen sind eine eingeschränkte prothetische Flexibilität, systembedingt ist eine anzustrebende Verschraubung von Suprakonstruktionen (für eine zerstörungsfreie Abnahme zu Reparaturzwecken) nicht möglich. Die periimplantäre Weichgewebsmanschette weist im Vergleich zum Zahn eine geringere Adhäsion und eine reduzierte Barriere auf. Bei zementierten Arbeiten können so Reste Entzündungen („Peri-Zementitis“) hervorrufen, mitunter auch bei epigingivaler Position des Spaltes.
Die Zweiteiligkeit erlaubt es, z. B. prothetische Versorgungen zerstörungsfrei abzunehmen, Chipping-Korrekturen und Periimplantitis-Behandlungen mit minimiertem Aufwand und ohne Neuanfertigung durchzuführen. Zusammenfassend ist zu betonen, dass eine Verschraubbarkeit festsitzender Versorgungen den klinischen und fachlichen Anforderungen am ehesten gerecht wird und eine öknomische Langzeitversorgung gewährleisten kann. Verschiedene Hersteller wie z.B. Nobel Biocare oder Zeramex und andere haben es durch einen hohen technischen Aufwand geschafft, klinisch verlässliche, zweiteilige Keramik-Implantatsysteme auf den Markt zu bringen. Dem patientenorientierten Wunsch nach wartungs- und metallfreien Lösungen kann man als Behandler so in vielen Indikationen durch zweiteilige Keramik-Systeme – medizinisch sinnvoll – erfüllen; wenn auch mit höheren Kosten als bei den meisten Titan-Implantatsystemen.
Studien zeigen, dass Patienten mit z. B. multiplen Allergien hinsichtlich Knie- und Hüftprothesen aus Metallen zu mehr Komplikationen neigen, Stichwort aseptische Osteolyse durch erhöhte Titankonzentrationen im Blut. Können gerade bei diesen Patienten oder für Patienten mit systemischen Erkrankungen Dentalimplantate aus Zirkonoxid eine gute Alternative sein?
Dass Patienten mit multiplen Allergien zu mehr Komplikationsraten neigen können, ist für mich biologisch nachvollziehbar. Ein direkter Zusammenhang zwischen aseptischen Osteolysen und erhöhter Titanpartikel-Konzentrationen im Blut ist mir in der dentalen Implantologie nicht bekannt – es erscheint mir durch die geringe Kontaktfläche im Vergleich zu Hüft- oder Knieendoprothesen auch wenig wahrscheinlich. Für Patienten mit bestimmten systemischen Erkrankungen gibt es Kontraindikationen, die nach meinem derzeitigen Wissensstand mit Implantaten im allgemeinen, nicht aber direkt mit den Materialien Zirkonoxid oder Titan verbunden sind.
Eine geringe Titanabriebkonzentration im Umfeld von Implantaten hat sich bei gesunden Patienten nicht als nachweislich negativ erwiesen, wird aber weiterhin diskutiert.
Bezüglich Partikel bei Zirkonoxid Systemen vermute ich, dass zukünftig ebenso Abrieb-Partikel nachgewiesen werden können.
Mittlerweile gibt es klinische Evidenzen zu einer besseren Biokompatibilität von ZrO2 Implantaten. Können Sie einer geringeren Neigung zur Ausbildung einer Periimplantitis zustimmen?
Es stimmt, dass die Weichgewebsanlagerung an Oberflächen von Zirkonoxid als günstig beschrieben wird. Eine signifikant erhöhte Biokompabilität im Vergleich zu Titan ist mir bislang nicht bekannt. Beiden Materialien gemeinsam ist eine Dioxidschicht, an die das Knochengewebe eine direkte ossäre Anlagerung ausbilden kann. Eine eventuell unterschiedliche Häufigkeit einer Perimukositis bzw. Periimplantitis um angeraute Titan- und Zirkonodioxid-Implantatkomponenten muss in weiteren Studien untersucht werden.
Gibt es Erfahrungen im Zusammenhang mit der Osseointegration, könnten Patienten auch sofort versorgt werden?
Gegenwärtig wurden im Rahmen unserer Anwendungsbeobachtung keine Patienten sofort versorgt; diese ist auch (noch?) nicht dafür freigegeben. Nach Insertion von Keramikimplantaten wurde bei uns auch bis dato keine Fraktur beobachtet. Ziel von kontrollierten Studien wird es sein müssen, eine Sofortbelastung unter kontrollierten Bedingungen zu evaluieren.
Abschließend eine Frage zur Zukunftsperspektive: Wo sehen Sie Keramikimplantate in 10 Jahren – Game Changer und Adieu Titan? Oder werden Indikations-Limitierungen im Vergleich zu Titan bleiben?
Keramikimplantate sind aus meiner Sicht nicht als „Game Changer“ anzusehen, sondern eine hilfreiche Ergänzung, mit der Patientengruppen erreicht werden, die metallfreie Lösungen anstreben bzw. in manchen Fällen tatsächlich einfordern. Auf diese Weise kann man auch Patienten für eine implantologische Lösung gewinnen, die gegen eine Titan-Implantation (nicht immer nachvollziehbare) Vorbehalte haben und eine festsitzende Versorgung ermöglichen – was oft mit einem erhöhten Aufklärungs- und Zeitbedarf verbunden ist. Unser Ziel ist es, medizinisch sinnvolle Lösungen für unterschiedliche Patientenbedürfnisse zu finden. In diesen Fällen bieten ZrO2-Implantate die Chance einer ästhetischen Wiederherstellung der Kaufunktion von extrahierten Zähnen.
Den Wunsch, den ich an Hersteller von Keramikimplantaten habe, ist ein einfach formulierter, jedoch technisch herausfordender „Farbwunsch“: „Hellweiss“ von aktuellen Keramikimplantaten hat zwar einen durchaus positiven Effekt auf die Aufhellung des Weichgewebes. Andererseits stellt diese helle Farbe auch einen ästhetisch beeinträchtigenden Faktor im Falle einer Dehiszenz dar: Eine Zahnwurzel-farbanaloge Gestaltung – zumindest des Implantathals-Anteils – könnte in solchen Fällen für Patient und Behandler sehr hilfreich sein.
Zur zukünftigen Rolle von Titan. Ich bin überzeugt, dass in meiner beruflich aktiven Zeit Titanimplantate weiterhin den größten Teil der gesetzten Implantate ausmachen werden. Es werden dabei Keramikimplantate aufgrund vermehrter Informationen von Medizinproduktfirmen und Medien jedenfalls für viele Patienten interessanter werden und dadurch Marktanteile gewinnen.
Vielen Dank für die sehr informativen Antworten. Wir sehen gespannt der Zukunft der Keramikimplantate entgegen und würden uns freuen, mehr von Ihrer Fachexpertise zu hören.