Mittwoch, August 14, 2024
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Zahnärzte und KI: Partner auf Augenhöhe für eine zukunftsweisende Zahnmedizin

Prof. Falk Schwendicke im dental JOURNAL Interview über KI, deren Einsatz in der Zahnheilkunde und wie Zahnärzte davon profitieren können. Neu: Podcasts. Kompakt im dental journal, auf Spotify in voller Länge.

Herr Prof. Schwendicke, Sie sind Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie am LMU-Klinikum in München und beschäftigen sich intensiv mit dem Thema künstliche Intelligenz (KI) in der Zahnmedizin. Was hat Sie dazu bewogen, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen?
Die Anfänge der KI in der Medizin liegen jetzt ja mittlerweile auch schon so 6, 7, 8 Jahre zurück. Zu dem Zeitpunkt haben wir in der Dermatologie und Augenheilkunde gesehen, dass Bildmaterialien durch KI-Algorithmen gut analysiert werden können. Da lag natürlich nichts näher, als auch zahnmedizinische Bilder zu nehmen. Gerade Röntgenbilder sind ja etwas, was wir in der Zahnmedizin sehr häufig haben. Wir sind die Disziplin in der Medizin, die die meisten Röntgenbilder anfertigt. Diese KI-Algorithmen lernen aus Daten, das heißt, das ist selbstlernende Mathematikmustererkennung. Wenn sie diesen Algorithmen genügend Bilder geben, aus denen sie Muster erkennen können, dann sind sie am Ende auch in der Lage, auf neuen, ungesehenen Bildern diese Muster wieder zu erkennen. Das ist im Endeffekt die gleiche Technologie, die in Ihrem Telefon Gesichtserkennung betreibt oder am Flughafen Passautomaten betätigt.

Das Thema KI gibt es also schon relativ lange. Nur ist es jetzt erst durch verschiedene Faktoren zum Durchbruch gekommen?
Völlig richtig. Ideen dazu gibt es schon seit 70, 80 Jahren. Man hatte nur nicht die technischen Möglichkeiten und auch nicht genug Daten. Die meisten Daten waren analog auf Papier. Man hatte nicht genug Rechenleistung. Seit ungefähr 2005, 2010 kommen diese drei Sachen zusammen: Rechenleistung, Daten und maschinelles Lernen als neuer Softwareansatz. Seitdem sehen wir enorme Erfolge. Zunächst bei der Analyse von Altersbildern und mittlerweile auch in der Medizin, in der Radiologie, in der Pathologie und so weiter. Und heute auch in der Zahnmedizin.

Künstliche Intelligenz ist ein hochaktuelles Thema, bei dem teilweise Ängste aufkommen. Woher kommt diese?
FS: Ich glaube, die Angst kommt vor allen Dingen daher, dass sich diese Technologie in den letzten zwei, drei Jahren enorm weiterentwickelt hat. Wir haben diese großen sogenannten foundational Modelle, also Modelle, die alles Mögliche können. Früher hat man ein eigenes Modell trainiert, das konnte Bildmaterial analysieren. Mittlerweile können diese großen Modelle wie chatGPT nicht nur Bildmaterial analysieren. Die können auch Bilder generieren, Musik generieren, Texte verstehen und mit uns sprechen. Diese Vielseitigkeit ist es, wo man sich fragt, wenn sich das innerhalb von zwei, drei Jahren so entwickelt hat, wo soll die Reise dann noch hingehen? Allerdings muss man sich immer klar machen, diese Modelle denken nicht. Die verstehen nicht, was wir sie fragen, sondern das sind Wahrscheinlichkeitsmaschinen, die uns davon ausgehend, was sie gelernt haben, wahrscheinliche Textbausteine, Wörter, Sätze vorsetzen. Aber das tun sie mittlerweile wirklich ziemlich gut.

Diese Modelle denken nicht. Die verstehen nicht, was wir sie fragen, sondern das sind Wahrscheinlichkeitsmaschinen.

Kommen wir als Beispiel zu Ihrem ehemaligen KI Start-up. Sie haben dentalXrai mitentwickelt. Was ist das genau und wie funktioniert es?
Wir waren damals sicherlich weltweit eine der ersten Gruppen. In Europa waren wir die Ersten, die diese Frage der Röntgenbildanalytik mit KI angegangen sind. Mittlerweile wird das Ganze als Software in einigen tausend Praxen in Österreich und Deutschland vertrieben und ist auch bei einigen Röntgengeräteherstellern integriert. Das kommt sehr gut an, die Kollegen nutzen das Tool und sind damit sehr zufrieden. Es geht nicht nur um diagnostische Unterstützung, sondern auch um Kommunikationsunterstützung mit dem Patienten. Man holt sich sozusagen eine Art unabhängige Zweitmeinung in die Praxis und kann dem Patienten vielleicht auch an dem farbigen Bild andere Dinge erklären als an einem Schwarz-Weiß-Bild. Und es verbessert die Dokumentationsgeschwindigkeit. Diese Modelle können innerhalb von zehn Sekunden einen kompletten Röntgenbefund schreiben, den man dann nur noch kurz kontrollieren muss.

Und wie ist es mit der Genauigkeit? Gibt es noch Ungenauigkeiten in der Software?
Diese Systeme sind allesamt Assistenzsysteme, keine autonomen KI-Systeme. Das ist auch wichtig in der Regulatorik. Wie gut sind die Systeme? Na ja, ich würde mal sagen, momentan sind sie so gut wie ein durchschnittlicher Zahnarzt, vielleicht ein Ticken besser bei der einen oder anderen Indikation. Der richtig gute Zahnarzt wird sicherlich immer noch auch heute ab und an sagen, das stimmt nicht. Am Ende wird es eine Art gemeinsame Aktion sein. Wir werden die Stärken der KI, zum Beispiel eine erhöhte Detektionsrate, mit unseren Stärken kombinieren, zum Beispiel, dass wir Dinge kritisch hinterfragen, dass wir falsch positive Dinge, Artefakte und so weiter vielleicht ein bisschen besser beurteilen können.

Prof. Dr. Falk Schwendicke

Sie sehen die KI quasi als Teamwork?
Ganz genau. Ich sehe das absolut als Teamwork. Ich glaube, dass diese Systeme noch auf sehr, sehr absehbare Zeit nicht autonom laufen werden. Und das ist ja auch eine der großen Forderungen der EU und vieler anderer Organisationen, dass man sagt, in solchen Bereichen wie Medizin, sogenannte High-Risk-Bereiche, da müssen diese Systeme am Ende von einem Menschen kontrolliert werden. Die Verantwortung liegt immer beim Menschen und in dem Moment eben beim Arzt.

Als Zahnarzt muss man sich also aktiv mit der KI-Technologie auseinandersetzen, um sie in der Praxis bewerten und einsetzen zu können?
Absolut, das ist ein zentraler Punkt. Wir haben im Studium nichts über KI gelernt, weil es so neu ist. Deshalb ist es wichtig, dass wir schnell eine Grundausbildung entwickeln. Bei der WHO haben wir ein Core-Curriculum mit vier Unterrichtsstunden für das Zahnmedizinstudium entwickelt. Sowas brauchen wir auch für praktizierende Zahnärzte. Nur wenn wir verstehen, wie KI funktioniert, können wir kritisch damit umgehen und Fehler erkennen. Wichtig ist, dass wir als Zahnärzte weiterhin die Experten bleiben. Denn wenn ich selbst nicht besser Bescheid weiß, dann finde ich auch nicht heraus, wenn der Computer mir Unsinn erzählt.

Funktioniert die Bildanalyse mit dieser KI nur mit 2D Röntgen? Ich denke da beispielsweise an 3D Röntgen oder MR Aufnahmen, die in Kürze auch in der Zahnmedizin ankommen werden.
Es funktioniert mit jeder Art von Bildmaterial. Mittlerweile funktioniert das ehrlich gesagt mit nahezu jeder Art von Datenmaterial, also auch mit Texten, Musik, Video. Sie könnten das natürlich genauso für Magnetresonanzbilder oder für 3D-Bildmaterial oder Intraoralscanner einsetzen. Und das wird auch schon getan. Es gibt Pilotstudien zu all diesen Bereichen. Gerade im DVT-Bereich und auch im Intraoralscanner-Bereich werden wir in den nächsten ein, zwei Jahren vermehrt kommerzielle Lösungen sehen.

Sie haben in einem Ihrer letzten Vorträge auch über die Möglichkeit gesprochen, KI mit 3D-Brillen zu kombinieren. Können Sie das näher erläutern?
Ja, diese Modelle sind in der Lage, Bilder oder Video zu analysieren. Wenn Sie beispielsweise zwei verschiedene Bildmaterialien haben, den Oberflächenscan und das DVT, dann können diese Bildmaterialien, wenn Sie so eine Augmented-Reality-Brille aufsetzen, analysiert werden. Die KI weiß genau, wo Sie hinschauen, und kann Ihnen dann das DVT genau auf die Stelle, auf die Sie schauen, mit Mikrometergenauigkeit projizieren. Das heißt, in dem Moment, wo Sie auf die Oberfläche des Zahnes oder der Gingiva schauen, bekommen Sie über diese Brille das DVT entsprechend dort eingeblendet und können sozusagen während der Operation gleichzeitig den Röntgenblick ausüben. Ich glaube, dass das in vielen Disziplinen, ob das jetzt die Endodontie ist oder die Implantologie, sehr nützlich sein wird.

Es wird oft gesagt, KI wird nicht den Zahnarzt ersetzen, aber der Zahnarzt mit KI wird möglicherweise den Zahnarzt ohne KI ersetzen.

Wie sehen Sie die Zukunft der KI in der Zahnmedizin? Könnte sie ganze Berufszweige verdrängen?
Generell sehen wir gerade durch diese großen Chatbots und Sprachmodelle schon die Möglichkeit, viele administrative Prozesse in der Praxis deutlich zu entlasten. Ob es das Schreiben von Rezepten ist, das Zusammenfassen von Arztbriefen oder die Abrechnung. Selbst solche Dinge wie die Aufnahme des Befundes beim Patienten könnten diese Sprachmodelle übernehmen. Da ist nur eine Frage von ein, zwei, drei Jahren, dass es auch für den zahnmedizinischen Jargon funktionieren wird. Aber ich glaube nicht, dass wir ein Berufszweig sind, der sich durch KI wegrationalisieren lassen wird. Ich sehe eher eine Entlastung. Es gibt in Deutschland und Österreich ohnehin zu wenige zahnmedizinische Fachangestellte und in vielen Landstrichen auch zu wenig Zahnärzte.

Wenn man in die Zukunft blickt, was könnte den Zahnarzt oder auch den Patienten noch erwarten?
Ich glaube momentan nur bedingt daran, dass der Roboter demnächst den Zahnarzt bei einer Füllung ersetzt. Unsere Prozeduren sind sehr klein, sehr individuell und auch nicht sehr teuer. Ein Roboter für eine 100€ Füllung wird sich wahrscheinlich nicht rechnen. Was ich eher sehe, ist, dass man diese datengetriebenen Tools einsetzen wird, um eine präzisere und personalisierte Zahnmedizin zu machen. Das ist ein Riesentrend in der Medizin, gerade in der Onkologie: datenbasiert unter Verwendung von Mikrobiom-, Metabolom- oder Genomanalysen für die Patienten maßgeschneiderte Therapien anzubieten. In unserem Bereich funktioniert das noch nicht, das ist viel zu teuer. Aber ich sehe schon, dass wir vielleicht in fünf oder zehn Jahren unter Zuhilfenahme dieser sogenannten OMICS, also systemmedizinischer Ansätze, und vielleicht auch von Routinedaten, also großen Datensätzen, die wir haben, mehr über unsere Patienten verstehen werden und dann Recallintervalle oder auch aktive Therapien entsprechend maßgeschneidert anbieten können.

Das klingt nach sehr viel Potenzial für die Zukunft. Wie können sich Zahnärzte auf diese Entwicklungen vorbereiten?
Es ist wichtig, dass wir schnell und in der Breite eine Grundausbildung hinkriegen. Wir haben bei der Weltgesundheitsorganisation wie gesagt ein sogenanntes Core-Curriculum entwickelt, das man in der Zahnmedizin irgendwo in den fünfeinhalb Jahren Studium unterkriegen sollte. Sowas brauchen wir auch für praktizierende Zahnärzte. Es gibt mittlerweile viele Möglichkeiten im Internet, auf YouTube und so weiter. Man kann Fortbildungen dazu besuchen, es gibt auf verschiedenen Kongressen mittlerweile regelmäßig Sessions zu KI in der Zahnmedizin. Was wir noch nicht haben, sind strukturierte Fortbildungsangebote, aber daran arbeiten wir gerade.

Zum Abschluss: Was würden Sie Zahnärzten raten, die sich für KI interessieren?
Ich glaube, dass die Praxen, die sich mit diesen Technologien heute schon aufstellen, morgen einen Vorteil haben werden. Es wird oft gesagt, KI wird nicht den Zahnarzt ersetzen, aber der Zahnarzt mit KI wird möglicherweise den Zahnarzt ohne KI ersetzen. Ich bin gespannt, ob das für unseren Berufszweig wirklich zutreffen wird. Aber: Jetzt ist definitiv der Zeitpunkt, sich damit zu beschäftigen.

Oliver Rohkamm
Oliver Rohkamm
Immer auf der Suche nach neuen zahnmedizinischen Innovationen. Hat ein Faible für alles, was mit dem digitalen Workflow in der Zahnmedizin zu tun hat. Zusätzlich interessiert er sich für Computer und alles was zwei Räder hat. In der Freizeit ist er vor allem auf dem Motorrad, Rennrad oder Mountainbike zu finden.
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