StartImplantologieWeichgewebe als Schlüssel zum Implantaterfolg

Weichgewebe als Schlüssel zum Implantaterfolg

Dr. Goran Benic über den Erfolgsfaktor Weichgewebe und Mundgesundheit

Dr. Benic, die Covid-19-Pandemie hat zu einem wachsenden öffentlichen Gesundheitsbewusstsein geführt. Welche Auswirkungen hat das für die Zahnmedizin?
Ich glaube, dass es sich hier um einen langfristigen Prozess handelt, der durch die Pandemie beschleunigt wurde. Während der letzten zwei Jahre haben Menschen in aller Welt gelernt, sich eine ausgeprägte Meinung zu verschiedenen Gesundheitsfragen zu bilden. Denken wir hier nur an das mittlerweile immense öffentliche Interesse an Impfstoffen und die gespaltete Meinung darüber, ob es Vorteile hat, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen oder nicht. Das Internet mit seinen vielen Social Media-Plattformen hat Menschen neue Informationswege geöffnet. So sind Patienten heute in der Lage, sich im Vorfeld zu einer zahnmedizinischen Behandlung über die in diesem Zusammenhang verwendeten Materialien zu informieren. Folglich entwickeln sie eine genaue Vorstellung davon, welche Materialien sie in ihren Körpern haben möchten und welche nicht. Wir als Mediziner tun gut daran, diesen Trend anzuerkennen und unsere Patienten genauestens und so verständlich wie möglich über die verschiedenen Materialien, die ihnen zur Auswahl stehen, aufzuklären. Ein offenes Gespräch über die wissenschaftlichen Belege und die möglichen Risiken im Zusammenhang mit einem bestimmten Material muss integraler Bestandteil einer umfassenden Patientenaufklärung sein. Wir sollten unseren Patienten gegenüber transparent sein und uns ständig vergegenwärtigen, welche Auswirkungen unsere Entscheidungen auf deren langfristige Gesundheit haben können.

Gewinnt auch die Mundgesundheit an Bedeutung? Wenn ja, warum?
Wir wissen nun bereits seit einigen Jahren, dass die Mundgesundheit einen direkten Einfluss auf die Allgemeingesundheit des menschlichen Körpers an. In der Mundhöhle befindliche pathogene Bakterien können die epitheliale Barriere um natürliche Zähne und Zahnimplantate überwinden, in den Blutkreislauf gelangen, über diesen in weitere Teile des Körpers vordringen und infolge die Entstehung von Allgemeinerkrankungen begünstigen. So werden heute Entzündungskrankheiten im Mundraum, wie etwa Parodontitis oder Periimplantitis, mit chronischen Krankheiten, wie beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes, in Verbindung gebracht. Auch vor diesem Hintergrund ist eine umfassende Patientenaufklärung überaus wichtig – der direkte Zusammenhang zwischen der Mundgesundheit und der Allgemeingesundheit ist Patienten nämlich oftmals nicht bewusst. Insbesondere wenn es darum geht, einen kranken Zahn eines Patienten zu ersetzen oder eine bestehende Zahnlücke zu schließen, sollte, um sowohl periimplantären als auch systemischen Langzeitkomplikationen vorzubeugen, ein Implantatsystem gewählt werden, mit dem sich bakterielle Infektionen möglichst vermeiden lassen. In diesem Zusammenhang ist auch eine engmaschige Nachkontrolle von Implantatpatienten von großer Bedeutung.

Welche Rolle spielt das Weichgewebe um Zahnimplantate bei der Vermeidung von bakteriellen Infektionen?
Zunächst ist es essentiell, möglichst alle bakteriellen Erkrankungen zu beseitigen, bevor irgendeine Form der rekonstruktiven oder implantologischen Therapie durchgeführt wird. Auch ist es ratsam, sich eng an die klinischen Behandlungsprotokolle der Implantathersteller zu halten und ausschließlich biokompatible Materialien zu verwenden. In den Anfängen der zahnärztlichen Implantologie lag das Augenmerk vorwiegend auf der Osseointegration, dem Einheilmechanismus sowie auf dem Knochenstoffwechsel. In den Achtzigern und Neunzigern, zu einer Zeit, als die anfängliche Euphorie abzuklingen begann und sich Behandler vermehrt mit Langzeitkomplikationen im Zusammenhang mit Implantatversorgungen konfrontiert sahen, zeichnete sich bereits ab, welch große Bedeutung die Quantität, Qualität und Integrität des Weichgewebes für den langfristigen Erfolg von Implantatbehandlungen hat. Eine feste Abdichtung des Weichgewebes gegenüber pathogenen Bakterien ist für den Erhalt der langfristigen periimplantären Gesundheit sowie der Allgemeingesundheit von großer Wichtigkeit. Selbstverständlich gibt es nicht nur bei den unzähligen erhältlichen Implantatsystemen Unterschiede in puncto Weichgewebsreaktion, sondern auch bei den verschiedenen Implantatmaterialien, die heute zum Einsatz kommen. Seit einigen Jahren lässt sich ein interessanter Paradigmenwechsel in der Wissenschaft beobachten und es werden zunehmend neuere Materialien, wie etwa Zirkoniumdioxid, mit Blick auf deren Weichgewebsverhalten untersucht. Zwar bedarf es noch an weiteren Informationen und weiterer wissenschaftlicher Evidenz, allerdings gibt es schon jetzt vielversprechende Erkenntnisse zur äußerst vorteilhaften Weichgewebsreaktion auf Zirkoniumdioxid-Implantate.

Welche Veränderungen stehen der Implantologie bevor?
In den vergangenen zehn Jahren konnten wir beobachten, dass Metall aus dem Bereich der Prothetik beispielsweise praktisch verschwunden ist – dort kommt heute vorwiegend Keramik zum Einsatz. Ich glaube, dass insbesondere bei Materialien, die in den Körper eingesetzt werden, im Vergleich zu Suprakonstruktionen wie Kronen oder Brücken ein zunehmender Fokus auf der Biologie des menschlichen Körpers liegen wird. Werfen wir einmal einen Blick auf die wissenschaftliche Evidenz, auf die wir uns jetzt gerade, im Jahr 2022, beziehen können: Es gibt gute Beweise dafür, dass die klinische Leistung eines Keramikimplantats mit der eines Titanimplantats vergleichbar ist, wenn man sich die Überlebensraten, das marginale Knochenniveau sowie die Gesundheit des periimplantären Weichgewebes anschaut. Zwar ist diese Evidenz zum jetzigen Zeitpunkt vergleichsweise noch etwas dünn, allerdings ist es nur eine Frage der Zeit, bis weitere klinische Nachweise und wissenschaftliche Studien publiziert werden, die den Einsatz von Keramikimplantaten rechtfertigen. Man stelle sich nur einmal vor, was wäre, wenn wir irgendwann stichhaltig beweisen könnten, dass ein „weißes“ Implantat aus Keramik de facto die gleiche Langzeitleistung erbringt wie ein Implantat aus Metall – für welches Implantat würden Sie sich wohl entscheiden?

Referenzen zu Vorträgen und Studien unter:
www.mypatent.com

Oliver Rohkamm
Oliver Rohkamm
Immer auf der Suche nach neuen zahnmedizinischen Innovationen. Hat ein Faible für alles, was mit dem digitalen Workflow in der Zahnmedizin zu tun hat. Zusätzlich interessiert er sich für Computer und alles was zwei Räder hat. In der Freizeit ist er vor allem auf dem Motorrad, Rennrad oder Mountainbike zu finden.
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